Feiern als Pflichtprogramm

Meinung · Die Festkultur schäumt am ersten Wochenende nach den Schulferien, als wollte das Land den trotzigen Beweis antreten, exzessiver Freizeitgenuss sei ein typisch saarländisches Phänomen. Falsch. Die gesamte Republik ist längst zur Freiluft-Partymeile mutiert

Die Festkultur schäumt am ersten Wochenende nach den Schulferien, als wollte das Land den trotzigen Beweis antreten, exzessiver Freizeitgenuss sei ein typisch saarländisches Phänomen. Falsch. Die gesamte Republik ist längst zur Freiluft-Partymeile mutiert. Die Fülle an Dorf-, Vereins- und Stadtfesten, im Saarland gern als Ausweis eines überragenden sozialen Zusammenhaltes vorgezeigt, taugt nicht mehr als Alleinstellungs-Merkmal. Schon gar nicht als Lockruf für die Wirtschaft. Der in Lafontaines Regierungstagen entwickelte PR-Slogan vom "Saarvoir vivre" gilt heute als standortpolitischer Rohrkrepierer. Sind die Saarländer wirklich ein Hoch-die-Tassen-Völkchen, das seine Energie in soziale Kontakte steckt? Das Zerr-Bild birgt einen realen sozialhistorischen Kern. Die Konfrontation mit wechselnden "Herren", ob Preußen, Bayern oder Franzosen, trainierte an der Saar eine Überlebenskunst, die nur durch einen ausgeprägten sozialen Zusammenhalt funktionierte. Den zelebrierte man einst bei Volksfesten, die sich an kirchlichen Feiertagen orientierten. Die heutigen Dorffeste sind jedoch meist Kinder der Gegenwart. In den 70er Jahren mitunter aus Trotz gegen Eingemeindungen geboren, sind sie mittlerweile zu Vitalitäts-Nachweisen vermeintlich rühriger Stadtpolitik verkommen. Nach dem Motto: Wo sich samstags kein Grill dreht oder keine Oldie-Band röhrt, da ist tote Hose, dort lahmen Vereine, Gastronomie, gar die Wirtschaft. Also sind Feste jetzt ein Pflicht-, statt ein Kür-Programm. Sie werden nicht mehr als Bürgerfest initiiert, sondern von Stadt-Marketing-Ämtern konzipiert. Sie dienen nicht mehr als Kontaktbörse für Menschen mit gemeinsamen Bezügen aus Schulzeit oder Nachbarschaft, sondern als anonymes Vergnügungs-Feld. So sehen sie dann auch aus. Überraschungssicher: Chansons, Schwenker, Champignonpfanne. Trotzdem hat die Feierlust nicht gelitten, bleiben Besucherzahlen konstant. Die beschworene Krise resultiert wohl aus dem Unbehagen mancher Macher an seit 25 Jahren unveränderten Konzepten. Vielleicht auch aus der Sorge, demnächst zwar noch genügend Gäste zu haben, aber keine ehrenamtlichen Helfer mehr. Die Feierlust scheint ungebrochen, doch die Basis - die Vereins-Kultur - zeigt Risse. Viele kleinere Feste - etwa in Dudweiler oder Blieskastel - fielen dieses Jahr aus. Denn alle wollen Spaß, die wenigsten dafür sorgen. Gefeiert wird nach dem Motto: Konsum ist cool, Mitgestalten lästig. Unschwer erkennt man darin eine gesamtgesellschaftliche Befindlichkeit. Feiern und Feste sind immer noch soziale Seismographen. Also Augen auf am Wochenende.

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