Merkel buhlt um Gewerkschaften

Berlin. Alle Wahljahre wieder geben sich die Spitzenvertreter der Parteien beim DGB die Klinke in die Hand. Den Anfang machte gestern Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. Ihre versöhnliche Botschaft: Bei "allen Kontroversen" sei es "sehr wichtig", mit den Gewerkschaften im Gespräch zu bleiben

Berlin. Alle Wahljahre wieder geben sich die Spitzenvertreter der Parteien beim DGB die Klinke in die Hand. Den Anfang machte gestern Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. Ihre versöhnliche Botschaft: Bei "allen Kontroversen" sei es "sehr wichtig", mit den Gewerkschaften im Gespräch zu bleiben.

Bereits 2009 war Merkel Gast bei der Jahresauftakt-Klausur des Gewerkschaftsdachverbands gewesen. Gefolgt von Frank-Walter Steinmeier, dem damaligen Kanzlerkandidaten der SPD. Der Besuch seines Nachfolgers Peer Steinbrück auf der Klausur ist für heute vorgesehen. Die ganze Inszenierung folgt einem gewerkschaftlichen Grundsatz, den der DGB-Vorsitzende Michael Sommer schon im letzten Herbst so formuliert hatte: "Wir sind überparteilich und werden weder für bestimmte Parteien noch Koalitionen werben oder Wahlempfehlungen aussprechen." Dabei liegt es eigentlich in der Natur der Sache, dass die Interessenvertreter der Arbeitnehmer den Sozialdemokraten näher stehen als jeder anderen Partei. Von den insgesamt acht Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften unter dem Dach des DGB haben immerhin sieben ein SPD-Parteibuch in der Tasche.

Anderseits will der DGB auch den Draht zu den Regierenden nicht abreißen lassen. Schließlich werden von ihnen die wirklich wichtigen Entscheidungen gefällt. Und nicht von der Opposition. Da trifft es sich gut, dass auch Merkel im Wahlkampf auf die soziale Karte setzt, indem sie Lohnuntergrenzen das Wort redet oder sich wie beim gestrigen Gespräch über den Missbrauch von Werksverträgen zu Lasten der Beschäftigten alarmiert zeigt. Vor wenigen Tagen hatte Merkel sogar ein dickes Lob für die Gewerkschaften parat: Sie hätten eine "ausgesprochen konstruktive und positive Rolle bei der Überwindung der Euro-Schuldenkrise gespielt". Wofür sich Sommer gestern mit der Bemerkung bedankte, dass man der Kanzlerin zugute halten könne, trotz Regierungsbeteiligung der FDP "keine gravierenden Angriffe auf Arbeitnehmerrechte" zugelassen zu haben.

Überschattet wurde das eineinhalbstündige Treffen allerdings von den gerade erst bekannt gewordenen Koalitionsplänen zur Neuregelung der Videoüberwachung für Arbeitnehmer. Sommer befürchtet eine Verschlimmbesserung der geltenden Rechtslage, was er offenbar auch im Gespräch hinter verschlossenen Türen thematisierte. Im Anschluss meinte der DGB-Chef im Beisein Merkels vor der Presse, dass die Kanzlerin beim Arbeitnehmerdatenschutz "durchaus sensibilisiert" sei.

Die Kanzlerin ging darauf jedoch nicht näher ein. Auch bei der konkreten Ausgestaltung einer verbindlichen Lohnuntergrenze und der Bekämpfung von Altersarmut war der Vorrat an Gemeinsamkeiten stark begrenzt. Der DGB will einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro per Gesetz verankern, Merkel setzt auf eine Kommission, in der die Tarifpartner bestimmte Lohnuntergrenzen selber aushandeln. Die Rente mit 67 möchte der DGB abschaffen, derweil Schwarz-Gelb sich nicht mal über geringe Verbesserungen für Renten von Niedriglöhnern einigen kann. So verlegten Merkel und Sommer sich beim Auftritt vor der Presse darauf, die gute Gesprächsatmosphäre zu würdigen.

Beim heutigen Treffen der Gewerkschaftsspitzen mit Kanzlerkandidat Steinbrück darf die als selbstverständlich gelten. Schließlich war die SPD den Arbeitnehmervertreten bei ihren jüngsten Beschlüssen etwa für eine "Solidarrente" weit entgegengekommen.

Foto: Kappeler/dpa

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