Medwedew verspricht Reformen

Moskau. Nach seinem im September angekündigten Rollentausch mit Russlands Premier Wladimir Putin hatten ihn viele Russen, Politologen und Bürger als "politische Leiche" längst abgeschrieben. Dmitri Medwedew sei zwar weiterhin formal der Präsident des Landes, so die Aussagen, zu sagen habe er aber gar nichts mehr

 Medwedew verspricht, die Registrierung von Parteien zu erleichtern. Foto: Rodionov/dpa

Medwedew verspricht, die Registrierung von Parteien zu erleichtern. Foto: Rodionov/dpa

Moskau. Nach seinem im September angekündigten Rollentausch mit Russlands Premier Wladimir Putin hatten ihn viele Russen, Politologen und Bürger als "politische Leiche" längst abgeschrieben. Dmitri Medwedew sei zwar weiterhin formal der Präsident des Landes, so die Aussagen, zu sagen habe er aber gar nichts mehr. Nun trat die "politische Leiche" wieder vor die Kameras und feierte seine Auferstehung. Zwei Tage vor der geplanten Großdemonstration in Moskau versprach Medwedew in seiner gestrigen Rede zur Lage der Nation politische Reformen - und gestand so das Scheitern des gängigen Systems ein.Seit der offensichtlich gefälschten Parlamentswahl vor knapp drei Wochen reißen die Proteste nicht ab. Die Staatsspitze ignorierte den Unmut tagelang - bis sich an die 100 000 Menschen auf dem Moskauer Sumpfplatz versammelten und auch in der Provinz Nicht-Einverstandene auf die Straße gingen. Premier Putin machte sich noch vor einer Woche lustig über die Unzufriedenen. Auch Präsident Medwedew bemüht in seiner einstündigen Rede die Sätze von Provokateuren und Extremisten, die die Russen zu manipulieren und aufzuhetzen versuchten. Auch er spricht im Kreml davon, dass er ausländische Einmischungen nicht dulde. "Russland braucht Demokratie, kein Chaos." Doch Medwedew sagt auch das: "Ich höre die, die von der Notwendigkeit des Wandels sprechen, und ich verstehe sie. Die Menschen sind erschöpft davon, dass man ihre Interessen ignoriert."

Der 46-Jährige kündigt überraschend die direkte Wahl von Gouverneuren an. Putin hatte sie in seiner Amtszeit als Präsident abgeschafft. Noch im Mai meinte Medwedew, eine Änderung dieser Praxis sei nicht einmal in den nächsten 15 Jahren in Sicht. Nun ist sie offenbar doch da. Er will die Registrierung politischer Parteien erleichtern, den Verwaltungsapparat schlanker machen, weiter gegen die Korruption und für die Modernisierung kämpfen und wünscht sich gar einen vom Staat unabhängigen "gesellschaftlichen Fernsehsender". Den Zeitpunkt für all die Reformen nennt er nicht.

"Wenn all das in Erfüllung geht, werden wir ,Danke!' sagen und laut applaudieren", schreibt eine Bloggerin. Doch Medwedew weiß, dass ihm nur noch drei Monate als Präsident bleiben, dann tauscht er mit Putin. "Die Probleme müssen künftige Führer lösen, wer immer es sein wird." Premier Putin sitzt in der ersten Reihe und schaut starr nach vorn.

Meinung

Kurskorrektur ohne Garantie

Von SZ-MitarbeiterinInna Hartwich

 Medwedew verspricht, die Parteien-Registrierung zu erleichtern. Foto: Vladimir Rodionov/dpa

Medwedew verspricht, die Parteien-Registrierung zu erleichtern. Foto: Vladimir Rodionov/dpa

Eine Überraschung ist es schon: Medwedew geht auf Forderungen der Demonstranten ein. Das ist ein kleiner Erfolg für die Unzufriedenen. Und eine enorme Kurskorrektur des Kremls. Allerdings ohne das Eingeständnis eigener Fehler. Es stellt sich die Frage: Was hat Medwedew unternommen, als das Regime sich nach und nach erschöpfte, wie er das jetzt nennt? Einen Zeitpunkt für die Reformen nennt er nicht. Zumal er ohnehin abgesichert ist. Denn im März kommt ein neuer Präsident, aller Voraussicht nach Wladimir Putin. Hoffentlich greift dann nicht wieder der Satz des früheren russischen Premiers Tschernomyrdin: "Wir wollten das Beste, und es kam wie immer."

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