Kaiserschnitt: Ein schlechter Start ins Leben

Tübingen. Rund 670 000 Kinder werden in Deutschland in einem Jahr geboren. Jede dritte Geburt erfolgt dabei mittlerweile per Kaiserschnitt. Vor zwei Jahrzehnten war diese Quote noch nicht einmal halb so hoch, zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes

Tübingen. Rund 670 000 Kinder werden in Deutschland in einem Jahr geboren. Jede dritte Geburt erfolgt dabei mittlerweile per Kaiserschnitt. Vor zwei Jahrzehnten war diese Quote noch nicht einmal halb so hoch, zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Zwar gilt der Kaiserschnitt als eine der sichersten Operationen überhaupt, die Müttersterblichkeit liegt laut medizinischer Statistik mit zwei bis drei Todesfällen pro 10 000 Eingriffe extrem niedrig. Allerdings ist sie immer noch mehr als doppelt so hoch wie bei einer natürlichen Entbindung. Dass nicht nur Gynäkologen, sondern auch Kinderärzte den Wunsch-Kaiserschnitt kritisieren, und dies besonders dann, wenn er aus organisatorischen Gründen oder Bequemlichkeit vor den eigentlichen Geburtstermin gelegt werden soll, hat aber nicht nur mit diesem Restrisiko der Operation zu tun.Kinder, die vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt kommen, leben gefährlich und haben es später im Leben häufig schwerer als ihre auf natürlichem Weg zu Welt gekommenen Alterskameraden, warnt Professor Dr. Christian Poets, Neugeborenenmediziner der Uni Tübingen. Das zeigten aktuelle Studien, die selbst ihn als Fachmann erschreckt hätten, so Poets. Der Mediziner präsentierte diese Zahlen vor kurzem bei einem Kongress für Perinatale Medizin.

Bei einer Geburt zwischen der 32. Schwangerschaftswoche und dem errechneten Termin in der 40. Woche ist das Risiko eines Kindes im ersten Lebensjahr zu sterben um das Zweieinhalbfache erhöht. Selbst bei einer Geburt in der 38. Schwangerschaftswoche sei es noch um 75 Prozent erhöht, so Poets.

Nach einer schwedischen Studie sei das Risiko auch nicht auf die Zeit direkt nach der Geburt beschränkt. Bis ins Alter von fünf Jahren hätten Kinder, die vier bis sechs Wochen zu früh zur Welt gekommen sind, ein um 40 Prozent erhöhtes Risiko zu sterben, selbst im Alter von 13 bis 17 Jahren sei es statistisch noch um ein Drittel erhöht. Auch der Kaiserschnitt selbst berge Risiken, so Poets. Nach einer Studie der Universität Padua entwickelten reif geborene Kinder, die bei einem geplanten Kaiserschnitt zur Welt kommen, achtmal häufiger als auf natürlichem Weg geborene Babys einen sogenannten Pneumothorax, eine lebensbedrohliche Komplikation, bei der Luft aus der Lunge ins Rippenfell entweicht.

Da das Gehirn gerade in den letzten Wochen der Schwangerschaft wesentliche Reifungsprozesse durchläuft, sei es nicht verwunderlich, dass vorzeitig auf die Welt geholte Kinder zusätzlich ein um die Hälfte erhöhtes Risiko für körperliche und geistige Entwicklungsstörungen und in der Schule häufiger Probleme hätten.

Für die Häufung der Kaiserschnitt-Geburten in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Deutschland gebe es keinen erkennbaren medizinischen Grund, so Poets. Der Kinderarzt aus Tübingen plädiert nun dafür, die Informationen über die Risiken dieses Geburtsverfahrens stärker publik zu machen. Denn die seien nicht nur vielen Eltern, sondern auch vielen Ärzten nicht bewusst. byl

Hintergrund

Der Kaiserschnitt galt bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als lebensgefährlich für die Mutter - die Sterblichkeit betrug fast 80 Prozent. Der Heidelberger Professor Ferdinand Adolf Kehrer führte 1881 ein Verfahren ein, das die Sterblichkeit auf unter zehn Prozent senkte. Um die Jahrhundertwende wurde die Operation vom Gynäkologen Hermann Pfannenstiel verbessert. In Verbindung mit modernen Antibiotika hat sie das Risiko auf den heutigen Wert gesenkt. Die Müttersterblichkeit liegt laut Statistik mit zwei bis drei Todesfällen bei 10 000 Eingriffen extrem niedrig. byl

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort