„Kein Vergessen und Vergeben“

Mit dem Stopp des Forschungsprojekts über den sexuellen Kindesmissbrauch in kirchlichen Einrichtungen hat die Aufarbeitung des Skandals nach Einschätzung von Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, einen herben Rückschlag erlitten. Unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter, fragte nach.

Herr Hilgers, waren Sie von der Aufkündigung der Zusammenarbeit mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen durch die Katholische Kirche überrascht?
Nein, das hat mich nicht überrascht. Der Institutschef Christian Pfeiffer ist ein selbstbewusster Wissenschaftler, der die Freiheit der Forschung hoch hält. Und die Katholische Kirche ist eine Institution, die bis zur Einsetzung eines Runden Tisches durch die Bundesregierung vor drei Jahren nur um ihren eigenen Ruf besorgt war, anstatt sich um die Missbrauchsopfer zu kümmern. Das sind völlig verschiedene Interessenlagen, die ganz offenkundig bis heute fortbestehen.

Die Katholische Kirche begründet ihren Schritt mit einem zerrütteten Vertrauensverhältnis zu Pfeiffer und weist dessen Vorwurf der "Zensur" zurück. Ist das für Sie glaubhaft?
Nein. Ich habe den Verdacht, dass starke Kräfte in der Katholischen Kirche jetzt nach der Methode Vergessen-und-Vergeben arbeiten. Es gibt derzeit keine Missbrauchsskandale, über die öffentlich berichtet wird, und deshalb glaubt man in Kirchenkreisen jetzt offenbar den Mantel des Schweigens darüber hängen zu können.

Die Kirche will die Aufarbeitung fortsetzen, nur mit einem anderen Partner.
Da bin ich skeptisch. Eher ist nun ein Gefälligkeitsgutachten zu erwarten, das mehr vertuscht als aufklärt.

Nun gab es Kindesmissbrauch nicht nur unter dem Dach der Kirche, sondern auch in staatlichen Heimen. Wie zufrieden sind sie insgesamt mit der bisherigen Aufarbeitung der schlimmen Vorgänge?
Es gab und gibt Missbrauch in Kirchen, staatlichen Einrichtungen und auch in Familien. Die Aufarbeitung dieser Vorgänge ist völlig unbefriedigend. Der als Reaktion auf die Missbrauchskandale eingerichtete Runde Tisch hat zwar gute Arbeit geleistet und in seinem Abschlussbericht richtige Vorschläge unterbreitet. Doch die werden von der Bundesregierung nicht umgesetzt.

Was meinen Sie konkret?
Verabredet waren zum Beispiel Forschungsaufträge zur Wirksamkeit von Therapien für die Opfer. Doch mangels bereit gestellter Mittel im Bundeshaushalt sind diese Aufträge noch nicht einmal vergeben.

Woran hakt es noch?
Was fehlt, sind auch die Förderprogramme für die Fachberatungsstellen. Ihre Mitarbeiter müssen sich um Spenden und Sponsoring bemühen, weil die Beratungsstellen vom Staat unzureichend finanziert sind. Auch der Gesetzentwurf zur Stärkung der Rechte der Opfer und der Verlängerung der Verjährungsfristen bei sexueller Gewalt schmort schon seit eineinhalb Jahren unerledigt im Bundestag. Und der einst gefeierte 100-Millionen-Euro-Hilfsfonds steht ebenfalls nur auf dem Papier, weil Bund und Länder über die Finanzierung streiten. Das alles ist ein untragbarer Zustand.

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