Jamaika-Sondierungen Verhandlungen über Jamaika-Bündnis gescheitert

Berlin (dpa) · Die Verhandlungen über ein Bündnis zwischen Union, FDP und Grünen sind gescheitert. Die FDP bricht die Gespräche ab. Die Kritik an den Liberalen ist groß. Wie geht es nun weiter?

 Christian Lindner, FDP Bundesvorsitzender, spricht am 19.11.2017 in Berlin vor der Landesvertretung Baden-Württemberg beim Bund. Die FDP hatte die Jamaika Sondierungsgesprächen zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Regierung abgebrochen. Foto: Michael Kappeler/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Christian Lindner, FDP Bundesvorsitzender, spricht am 19.11.2017 in Berlin vor der Landesvertretung Baden-Württemberg beim Bund. Die FDP hatte die Jamaika Sondierungsgesprächen zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Regierung abgebrochen. Foto: Michael Kappeler/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Foto: dpa/Michael Kappeler

Deutschland steht nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen vor unübersichtlichen politischen Verhältnissen. Die FDP ließ die Verhandlungen mit CDU, CSU und Grünen am späten Sonntagabend überraschend platzen. „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagte FDP-Chef Christian Lindner. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stürzt damit in die schwerste Krise ihrer zwölfjährigen Amtszeit. Acht Wochen nach der Bundestagswahl ist unklar, wie es weitergeht.

Drei Szenarien sind nun denkbar: Die SPD verhandelt doch über die erneute Bildung einer großen Koalition. Die Sozialdemokraten lehnten dies aber auch nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen ab. Die SPD-Spitze hatte am Abend der Bundestagswahl am 24. September unmittelbar nach dem historischen Absturz auf 20,5 Prozent entschieden, eine rechnerisch mögliche erneute große Koalition mit der Union abzulehnen und in die Opposition zu gehen.

Ein zweites denkbares Szenario ist eine Minderheitsregierung unter Führung Merkels, etwa mit den Grünen oder der FDP. Merkel bräuchte dann aber bei Abstimmungen einige Dutzend Stimmen aus anderen Fraktionen.

Als drittes Szenario denkbar sind Neuwahlen. Der Weg dorthin ist aber verfassungsrechtlich nicht einfach. Denn eine mögliche Neuwahl ist erst nach einer Kanzlerwahl möglich. Der Bundespräsident müsste zunächst jemanden für das Amt des Bundeskanzlers vorschlagen. Wäre dies Merkel und würde sie nur mit relativer Mehrheit und nicht mit der üblichen „Kanzlermehrheit“ gewählt, könnte der Bundespräsident sie zur Kanzlerin einer Minderheitsregierung ernennen - er kann aber auch den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen muss es dann Neuwahlen geben.

Merkel kündigte an, Steinmeier im Laufe des Montags über den Stand der Dinge informieren. Steinmeier hatte erst am Wochenende die potenziellen Jamaika-Partner ermahnt, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und Neuwahlen zu vermeiden.

Merkel hatte nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen angekündigt, sie werde als geschäftsführende Bundeskanzlerin „alles tun, dass dieses Land auch durch diese schwierigen Wochen gut geführt wird“. Sie bedauerte das Aussteigen der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen. Die Union habe geglaubt, dass man gemeinsam auf einem Weg gewesen sei, bei dem man eine Einigung hätte erreichen können. Die CDU-Vorsitzende will am Montagvormittag (11.00 Uhr) mit dem Vorstand ihrer Partei in einer Telefonkonferenz über das weitere Vorgehen sprechen. Bei den Grünen trifft sich der Parteirat (10.30 Uhr).

Bei der CSU kommt zunächst die Landesgruppe im Bundestag zusammen. Über den Termin für eine Sitzung des Parteivorstands und möglicher weiterer Gremien wie der Landtagsfraktion werde CSU-Chef Horst Seehofer in einer Telefonschalte mit dem Präsidium beraten, sagte ein Sprecher.

Seit dem Debakel der CSU bei der Bundestagswahl ist in der Partei ein heftiger Streit über eine Neuaufstellung entbrannt. Ein Lager fordert offen Seehofers Rückzug zugunsten von Finanzminister Markus Söder. Seehofer hatte während der Sondierungen erklärt, darauf erst nach dem Ende der Beratungen in Berlin eingehen zu wollen.

Seehofer bezeichnete das Scheitern der Jamaika-Sondierungen als „Belastung“ für Deutschland. Eine Einigung sei „zum Greifen nahe“ gewesen. Auch bei der Migrationspolitik - eines der umstrittensten Themen in den Sondierungen - wäre eine Einigung möglich gewesen.

FDP-Chef Lindner hatte den Abbruch der Sondierungen damit begründet, dass es in den gut vier Verhandlungswochen nicht gelungen sei, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Das wäre aber Voraussetzung für eine stabile Regierung gewesen. Lindner machte deutlich, dass die Gräben zwischen FDP und Grünen aus seiner Sicht zu groß waren. Die Liberalen seien für Trendwenden in der Politik gewählt worden, etwa in der Bildung oder bei der Entlastung der Bürger. Diese seien nicht erreichbar gewesen: „Nach Wochen liegt aber heute unverändert ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor.“ Wo es Übereinkünfte gebe, seien diese mit viel Geld der Bürger oder Formelkompromissen erkauft worden.

Die Grünen-Spitze warf der FDP vor, sich vor ihrer Verantwortung gedrückt zu haben. „Ein Bündnis hätte zustande kommen können“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Bei Klimaschutz, Landwirtschaft und Migration sei man am Ende näher beieinander gewesen, als man es gedacht hätte. Parteichef Cem Özdemir sagte, die FDP habe die einzig mögliche Konstellation zur Regierungsbildung „leider abgelehnt und zunichte gemacht“. Die Grünen seien bei vielen Themen an ihre Schmerzgrenzen und darüber hinaus gegangen. Grünen-Chefin Simone Peter sagte, die FDP habe vier Wochen lang „die Öffentlichkeit getäuscht: unverantwortlich, unseriös, berechnend“.

Die SPD steht nach Einschätzung ihres stellvertretenden Parteivorsitzenden Ralf Stegner trotz des Scheiterns der Jamaika-Gespräche nicht für eine große Koalition zur Verfügung. Stegner sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Ausgangslage für die SPD hat sich nicht verändert. Wir haben kein Mandat für eine erneute große Koalition.“ Er sehe für Kanzlerin Merkel keine Zukunft mehr. „Sie ist definitiv gescheitert.“ Aber auch ohne Merkel werde die SPD keine große Koalition eingehen. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hatte bereits am Sonntag bekräftigt, für den Fall eines Scheiterns stehe seine Partei nicht für eine Regierungsbeteiligung zur Verfügung.

(dpa)
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