Niedersachsen-Wahl Kopf-an-Kopf-Rennen im hohen Norden

Hannover · Vor der Wahl am Sonntag in Niedersachsen liegen SPD und CDU gleichauf. Es ist auch ein Duell zweier vergleichsweise ruhiger Spitzenkandidaten: Stephan Weil und Bernd Althusmann.

(dpa/afp/SZ) Kein Wähler-Frust durch große Koalition, kein prädestinierter Sieger mit haushohem Vorsprung: Für die Landtagswahl in Niedersachsen an diesem Sonntag gilt ein anderes Szenario als für die gerade gelaufene Bundestagswahl. Alles deutet auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen im hohen Norden zwischen dem amtierenden SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil (58) und seinem CDU-Herausforderer Bernd Althusmann (50) hin.

Nachdem die CDU in Umfragen lange geführt hat, befinden sich die beiden großen Parteien inzwischen auf Augenhöhe. Beim Institut INSA lag die SPD mit 33 Prozent zuletzt sogar knapp vor der Union (32 Prozent). Ministerpräsident Weil ist davon beflügelt. Auch das „enttäuschende Abschneiden“ im Bund habe „die Aufholjagd der SPD in Niedersachsen nicht stoppen können“, schreibt Weil auf seiner Internetseite. Jetzt gehe es bis zur Öffnung der Wahllokale noch einmal „ums Ganze“. Sein Rivale Althusmann dagegen bleibt vorsichtig. Er schätzt die eigenen Chancen auf 50:50 und rechnet mit einem engen Ergebnis. „Niedersachsen ist weder klassisches CDU- noch SPD-Land.“

Das zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit: Nach dem Zweiten Weltkrieg war Niedersachsen zwar zunächst eindeutig sozialdemokratisch geprägt. Doch seit Mitte der 1970er Jahre stellen die beiden Volksparteien abwechselnd den Regierungschef. 1976 übernahm mit Ernst Albrecht erstmals ein Christdemokrat das Ruder. Er blieb bis 1990 im Amt, ehe wieder die Sozialdemokraten an der Reihe waren. Ab 2003 führte erneut die CDU die Regierung an, bevor die Union die Macht 2013 in einer hauchdünnen Wahl-Entscheidung an Rot-Grün verlor.

Im zweitgrößten Flächenland Deutschlands haben beide Parteien ihre Hochburgen: die Sozialdemokraten vor allem im Süden rund um Hannover und Göttingen, die CDU in den ländlicheren Regionen wie Vechta und Cloppenburg im Westen des Landes. Dort fährt die Union regelmäßig „CSU-Ergebnisse“ jenseits der 50 oder sogar 60 Prozent ein.

Bundespolitisch brachte Niedersachsen in jüngerer Vergangenheit einige Schwergewichte hervor: allen voran Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), der zuvor von 1990 bis 1998 Ministerpräsident war. Ihm folgte im Jahr darauf der spätere SPD-Bundesvorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel in die Staatskanzlei in Hannover (1999 bis 2003). Und der wiederum wurde von Christian Wulff abgelöst, der das Land bis 2010 regierte und anschließend Bundespräsident wurde.

Als bundespolitische Schwergewichte kann man die beiden jetzigen Spitzenkandidaten allerdings nicht unbedingt bezeichnen. Manche kritisieren Amts­inhaber Weil gar als farblos. Der 58-Jähr­ige ist kein Mann schillernder Auftritte und polternder Reden. Doch der SPD-Politiker fuhr bisher gut mit seiner unspektakulären Art. Der ehemalige Oberbürgermeister von Hannover ist politisch ein Quereinsteiger, den es erst relativ spät in die Landespolitik zog. Der Sohn eines Ingenieurs und einer Volkswirtin arbeitete als Rechts- und Staatsanwalt sowie Richter, dann als Kämmerer in Hannover.

2006 wählten ihn die Bürger der Landeshauptstadt zum Chef der Stadtverwaltung. Seit 2013 steht Weil in der Staatskanzlei an der Spitze einer rot-grünen Regierung, deren vorzeitiges Ende im August durch den überraschenden Übertritt der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU besiegelt wurde. Die Folge ist eine vorgezogene Neuwahl drei Wochen nach der Bundestagswahl, bei der die SPD unter ihrem Vorsitzenden Martin Schulz bundesweit mit 20,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 einfuhr. Weil indessen hält im Wahlkampf weiter zum Bundeschef. „Die Basis hängt an Martin Schulz – er hat auch meine Unterstützung“, sagte er kürzlich.

Weils Durchbruch auf der landespolitischen Bühne kam 2011, als er sich bei einem SPD-internen Mitgliederentscheid über die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2013 gegen den heutigen niedersächsischen Wirtschaftsminister Olaf Lies durchsetzte und kurz darauf auch zum SPD-Landesvorsitzenden gewählt wurde. Von vielen wurde er dabei als langweilig belächelt. Er selbst aber machte aus seiner solide-spröden Art ein Markenzeichen. Er liebe es, sich mit guten Freunden in einer Kneipe in Hannover bei Matjes und Bratkartoffeln zu treffen, sagte er damals etwa. „Das ist genau die Umgebung, in der ich mich wohlfühle.“

Insgesamt gilt der gebürtige Hamburger als kompromissfähiger Politikmanager, der trotz seiner bedächtigen Art auch klar Position beziehen kann.

Weils Gegenspieler Althusmann gehörte bis vor kurzem nicht unbedingt zu den Politikern mit dem größten Bekanntheitsgrad. Das änderte sich durch den Machtverlust der rot-grünen Landesregierung durch den Übertritt von Twesten. Das Resultat waren hitzige politische Auseinandersetzungen und eine vorgezogene Wahl. Der Wahlkampf nahm schlagartig Fahrt auf.

Althusmann kennt sich aus in der Politik zwischen Nordsee und Harz. Der Sohn eines Pastors und einer Krankenschwester, der mit seiner Familie in Lüneburg lebt, war Kultusminister unter den CDU-Ministerpräsidenten Wulff und David McAllister. 2013 allerdings endete die politische Karriere des 50-Jährigen zunächst recht abrupt. Durch den Machtwechsel zur SPD bei der Landtagswahl in jenem Jahr verlor Althusmann nicht nur sein Ministeramt, sondern scheiterte auch in seinem Wahlkreis und verlor deswegen sein Mandat als Abgeordneter. Aber er fand einen neuen Job im Ausland: Als Leiter der Landesvertretung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung für Namibia und Angola ging er in die namibische Hauptstadt Windhoek.

Im vorigen Jahr kehrte der ausgebildete Bundeswehroffizier zurück in seine Heimat, um die Nachfolge McAllisters als CDU-Landeschef sowie die Spitzenkandidatur für die ursprünglich für Januar geplante Wahl zu übernehmen. Nach seiner Zeit im Ausland wisse er „heute noch viel besser“, wo „meine Wurzeln sind“, schreibt Althusmann auf seiner Website. Heimat sei für ihn „ganz konkret, meine Familie, Freunde, die Kirche, unser Dorf“. Unter Beobachtern gilt Althusmann als ruhig und verlässlich sowie als guter Zuhörer und typischer Norddeutscher.

Doch obwohl beide Spitzenkandidaten als ruhige Vertreter ihrer Zunft gelten, ist das Verhältnis zwischen SPD und CDU nach dem Twesten-Hickhack wohl zu belastet für eine große Koalition. Und die neueste Umfrage zeigt: Es wird weder für eine Fortsetzung von Rot-Grün noch für Schwarz-Gelb reichen. Denkbar wäre für SPD und CDU jeweils ein Bündnis mit FDP und Grünen. Beide liegen in der jüngsten Umfrage bei zehn Prozent. Sollte die Linke (fünf Prozent) in den Landtag einziehen, wäre auch Rot-Rot-Grün in Reichweite.

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