Die Ära Kohl Zwischen Tschernobyl und Dr. Brinkmann: So war die Ära Kohl

Berlin · Was geschah abseits der Weltpolitik in den 16 Jahren, in denen der Mann aus der Pfalz regierte? Ein Rückblick auf das Lebensgefühl der 80er und 90er.

 Das war auch 1986: Die „Schwarzwaldklinik“ wird zum TV-Kult.

Das war auch 1986: Die „Schwarzwaldklinik“ wird zum TV-Kult.

Foto: dpa/Horst Ossinger

() Die Briten hatten Margaret Thatcher, die Deutschen Helmut Kohl. Eine ganze Generation ist zwischen 1982 und 1998 mit ihm aufgewachsen. In den 80er Jahren diskutierten deutsche Familien am Abendbrottisch über das Wettrüsten und Atomkraft, in den 90er Jahren über Ossis, Wessis und die Wiedervereinigung. Wenn man den Fernseher anschaltete, war einer immer da: Helmut Kohl.

Als Kohl noch nicht der „Kanzler der Einheit“ war, hatte er wegen seiner Körperform den Spitznamen „Birne“, besonders gepflegt vom Satire-Magazin „Titanic“. Das nahm ihn immer wieder auf den Titel: „Birne muß Kanzler bleiben“ oder „Wiedervereinigung ungültig – Kohl war gedopt“.

Zu Kanzlerzeiten trug Kohl noch Brille und jene Strickjacke, die heute im Haus der Geschichte in Bonn aufbewahrt wird. Der gemütliche Pfälzer mit Vorliebe für Saumagen, das war das Klischee. Was für ein Temperament der CDU-Mann hatte, sahen viele erst, als er einmal in Halle auf einen Eierwerfer zustürmte. Als cool galt Kohl bei den meisten jungen Deutschen in den 80er Jahren nicht. Wer bei der Jungen Union aktiv war, führte ein Randgruppen-Dasein: Das waren die Jungs mit Scheitel und Aktenkoffer mit Zahlenschloss. Später sang die JU bei ihren Parteitagen: „Und wir haben ein Idol: Helmut Koooohl.“

Die Jahre seien wie eine „gigantische Endlosschleife“ gewesen, schrieb Florian Illies in seinem Gesellschaftsporträt „Generation Golf“ im Jahr 2000. „Raider heißt jetzt Twix, sonst änderte sich nix.“ Illies zeichnet das Bild einer Wohlstands-Generation, für die allein die Farbe der Barbour-Jacke wichtig war.

Gut 17 Jahre nach Illies‘ Bestseller ist der Blick auf die Zeit anders. Es war damals doch so einiges los. Die alte BRD wurde reif für historische Fernsehserien wie „Deutschland 83“. Die Agentenserie zeigt, wie haarscharf Ost und West am Dritten Weltkrieg vorbeischrammten.

Als Helmut Kohl im Herbst 1982 Kanzler wurde, gab es nur drei Fernsehprogramme, nachts lief das Testbild. Gerade hatte die 17-jährige Saarländerin Nicole mit weißer Gitarre und „Ein bißchen Frieden“ den Grand Prix gewonnen. In den Kinos brach Steven Spielbergs „E.T.“ alle Rekorde. Bestseller waren Michael Endes „Momo“ und „Die unendliche Geschichte“. Die Neue Deutsche Welle erreichte ihren Höhepunkt. Autos waren deutlich eckiger als heute, Opel brachte 1982 den Corsa auf den Markt. Videos boomten.

 Das war 1986: Super-Gau im ukrainischen AKW Tschernobyl.

Das war 1986: Super-Gau im ukrainischen AKW Tschernobyl.

Foto: dpa/epa Tass

Computer waren Anfang der 80er noch etwas für Spinner. Aerobic war der letzte Schrei. Tennis sowieso, dank Steffi Graf und Boris Becker. Mitte der 80er starteten zwei Serien, die Fernsehgeschichte machten: die „Schwarzwaldklinik“ rund um Dr. Brinkmann und die „Lindenstraße“. Ein Schock war das Reaktor-Unglück von Tschernobyl, danach wurden die Deutschen vor frischer Milch und Gemüse gewarnt. Während nach dem Mauerfall Ost und West zusammenwuchsen, wurde Julia Roberts mit „Pretty Woman“ zum Postergirl der 90er. 1995 verhüllte das Künstlerpaar Christo den Reichstag – Kohl war dagegen. Internet funktionierte mit pfeifenden Modems, Handys wurden skeptisch beäugt. 1998 blödelte Guildo Horn beim Eurovision Song Contest, die Krimiserie „Derrick“ ging zu Ende. Im Oktober gewann Gerhard Schröder (SPD) die Wahl und blieb sieben Jahre Kanzler. Einen Spitznamen wie Kohl bekam er nicht.

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