Gauck legt sich mit den Rechten an

Berlin · 67 Jahre Grundgesetz: Der Bundespräsident empfiehlt Deutschland eine neue Streitkultur – auch wenn es manchmal weh tut. Über die eigene Zukunft schweigt sich Gauck weiter aus.

Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner Rede anlässlich des Tages des Grundgesetzes gestern in Berlin vor einer Radikalisierung der gesellschaftlichen Debatte gewarnt. Gauck sprach vor 700 Kommunalpolitikern aus dem ganzen Land. Zur Frage, ob er Anfang 2017 für eine weitere Amtsperiode antreten will, sagte Gauck nichts.

Ohne die "Pegida"-Bewegung beim Namen zu nennen, verurteilte der Bundespräsident, dass mit der Parole "Wir sind das Volk" wieder im Osten demonstriert werde. Dies sei "besonders bitter", für jene, die wie er selbst 1989 mit dieser Parole gegen den DDR-Staat auf die Straße gegangen waren. "Das spiegelte tatsächlich wider, was die Mehrheit dachte und fühlte." Jetzt werde diese Losung missbraucht.

Der Bundespräsident räumte ein, dass es verbreitet Unbehagen, Unsicherheit und Ungewissheit im Land gebe. Das erstrecke sich auf Themen wie Schulden, Renten, Freihandel, EU, Einwanderung und Terrorismus. Gauck sprach von einer "brisanten Mischung". In dieser Situation suchten einige die Polarisierung. "Manche tragen ihr Ressentiment auf die Straße, manchmal wird aus Ressentiment sogar Hass und aus Hass eine Straftat." Die Radikalisierung schüre Unfrieden und "vergifte" das Klima. Jedoch ende die Toleranz des demokratischen Rechtsstaates dort, wo zu Gewalt aufgestachelt werde, sagte der Bundespräsident. "Diese Menschen werden in unserem Land niemals zu einer Mehrheit werden", rief er unter dem Beifall der Teilnehmer aus. Der Präsident mahnte allerdings auch Politik und Medien zur "kritischen Selbstreflexion". Spannungen löse man nicht durch Ausgrenzung, sondern durch Offenheit und Gegenargumente. Gauck zeichnete gleichzeitig das Bild einer starken Demokratie. Die deutsche Gesellschaft habe in der Vergangenheit mehrfach die Fähigkeit bewiesen, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Es gebe einen "Grundvorrat an Selbstvertrauen", sagte Gauck. "Es liegt an uns, Veränderungen nicht zu fürchten, sondern anzunehmen". Deutschland müsse die politische, kulturelle und religiöse Pluralität aushalten, die sich entwickelt habe. "Das gilt besonders, seitdem Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist."

Mit der Einladung der über 700 Vertreter von Städten und Gemeinden zum Verfassungstag nach Berlin wollte Gauck ausdrücklich ein Zeichen der Anerkennung für die in der Kommunalpolitik geleistete haupt- und ehrenamtliche Arbeit setzen. "Sie füllen unser Grundgesetz in den Kommunen mit Leben", sagte Gauck an die Adresse seiner Gäste. Vor Ort müsse umgesetzt werden, was oft auf anderen Ebenen entschieden worden sei, etwa in der Flüchtlingspolitik.

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