EU-Gipfel in Brüssel Ein schlechtes Brexit-Zeugnis

Brüssel · Die Europäische Union ist mit den bisherigen britischen Angeboten für einen Ausstieg unzufrieden. Zur Strafe will sie deshalb erst ab Dezember mit den Briten über die künftigen Beziehungen sprechen.

 Die britische Premierministerin Theresa May vermied beim EU-Gipfel konkrete Zusagen.

Die britische Premierministerin Theresa May vermied beim EU-Gipfel konkrete Zusagen.

Foto: dpa/Virginia Mayo

Irgendetwas muss hinter den Kulissen des EU-Gipfels in Brüssel passiert sein. Denn als Rats­präsident Donald Tusk am Freitag nach dem Treffen eine Bilanz der Brexit-Diskussionen zog, sprach er überraschenderweise von den „britischen Freunden“. Solche Vertraulichkeiten hatte man schon lange weder vom Vereinigten Königreich noch von europäischer Seite gehört. „Es hat Fortschritte gegeben, aber sie sind unzureichend“, sagte Tusk.

Die Bundeskanzlerin klang nur wenig anders. Was bisher in den Verhandlungen über den Ausstieg der Briten aus der Union erreicht wurde, sei „nicht ausreichend“, sagte sie. Aber Angela Merkel gab sich zuversichtlich, dass es kein Scheitern geben werde: „Ich habe da überhaupt gar keinen Zweifel, wenn wir alle geistig klar sind“, meinte sie. Hinter verschlossenen Türen hatte Premierministerin Theresa May offenbar deutlich verbindlicher als noch in der Vergangenheit die Bereitschaft zu einem Abkommen mit der EU angesprochen. „Die Worte von Frau May waren sehr konstruktiv, sehr versöhnlich, durchaus problembewusst“, analysierte der scheidende österreichische Bundeskanzler Christian Kern. Nur Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab sich schweigsam: „Über den Brexit sage ich nichts, weil es nichts zu sagen gibt.“

Doch was zu wenig ist, reicht eben nicht. Und so verschob die Europäische Union den Beginn der zweiten Brexit-Phase erst einmal auf den kommenden Dezember – einige sagten auch „mindestens bis Dezember“. Es hakt vor allem am Geld. 20 Milliarden hat May bisher angeboten. Doch die EU fordert mehr. Nicht im Sinne einer Schlussrechnung, sondern für zugesagte Haushaltsmittel, für die Pensionen ehemaliger britischer EU-Beamter und den Londoner Anteil an Förderprojekten. Es gehe, so hieß es am Rande des EU-Gipfels, nicht um konkrete Summen, sondern um die Frage, welche Verpflichtungen Großbritannien anerkennt, um dann auszurechnen, was aussteht.

Dagegen bestätigten alle Seiten, dass beim Aufenthaltsrecht von EU-Bürgern auf der Insel erkennbare Schritte getan wurden. Das dritte Streitthema – die künftige Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland – wird wohl ohnehin erst gelöst werden können, wenn die zukünftigen Beziehungen auf der Tagesordnung stehen. Interessanterweise habe May nach Angaben von Gipfel-Teilnehmern angekündigt, man wolle keine „physischen Veränderungen an den Grenzübergängen“, was als Verzicht auf Kontrollstellen gewertet wurde. Aber die EU-Chefs hatten es satt, sich mit solchen Ungenauigkeiten abspeisen zu lassen. „Es ist langsam der Zeitpunkt, dass Großbritannien die Karten auf den Tisch legt“, sagte Kanzler Kern. „Wenn das geschieht, werden die Briten sehen, dass ihr Blatt möglicherweise schwächer ist, als sie ursprünglich geglaubt haben.“ Damit gehen die Gespräche zunächst einmal unverändert weiter.

Wie London seine Beziehungen zu den 27 EU-Staaten gestalten will? Großbritannien wisse das wohl noch nicht, hieß es in Brüssel. Die Europäische Union wolle in den kommenden Wochen bis zum Dezember ihre Position detailliert ausarbeiten. „Wir werden sehr gut vorbereitet sein“, sagte Merkel. Daran scheint es tatsächlich nicht den geringsten Zweifel zu geben. Denn beim Brexit-Thema dokumentierte die EU in diesen Tagen etwas, was ihr bei vielen anderen Herausforderungen abhanden gekommen scheint: Geschlossenheit.

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