Der alte Indianer der CDU

Gleisweiler. Seine Stirn erinnert an ein Waschbrett, die Schlupflider harmonieren mit den Tränensäcken, Falten wohin man schaut: Heiner Geißler sah schon in jüngeren Jahren aus "wie ein ungemachtes Bett" (Franz Josef Strauß). Doch der alte Indianer der CDU, der zeitlebens nie vor einer Attacke zurückschreckte, nimmt Äußerlichkeiten nicht ernst

Gleisweiler. Seine Stirn erinnert an ein Waschbrett, die Schlupflider harmonieren mit den Tränensäcken, Falten wohin man schaut: Heiner Geißler sah schon in jüngeren Jahren aus "wie ein ungemachtes Bett" (Franz Josef Strauß). Doch der alte Indianer der CDU, der zeitlebens nie vor einer Attacke zurückschreckte, nimmt Äußerlichkeiten nicht ernst. Ihm ging und geht es stets um Wichtigeres - um eine sozial gerechte Welt. Heute feiert Geißler seinen 80. Geburtstag. Der im südpfälzischen Gleisweiler wohnende Jurist gehört zu der christdemokratischen Troika, die seit den 70er Jahren von der Pfalz aus versuchte, die Macht im Staate zu erobern. Alle drei (Helmut Kohl, Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler) sind in den ersten Monaten des Jahres 1930 geboren, alle drei sollten ein Leben lang zwar als "Parteifreunde" auftreten, doch persönlich fremdeln. Biedenkopf löste sich von Kohl bereits 1977, Geißler im legendären Herbst des Jahres 1989. Aller Differenzen zum Trotz war es eine erfolgreiche Zeit, die den Grundstein legte für die 16-jährige Kanzlerschaft jenes Mannes aus Oggersheim, der seinen geistreichen Mitstreitern sehr viel zu verdanken hat. Geißler ist eine der schillerndsten Figuren, die die CDU je hervorgebracht hat. Jesuiten-Zögling, Erfinder der "neuen sozialen Frage", der "schlimmste Hetzer seit Goebbels" (wie ihn ein zorniger Willy Brandt nannte), CDU-Generalsekretär, Familienminister, Buchautor ("Was würde Jesus heute sagen"), steter Mahner gegen die Auswüchse des Kapitalismus und Neoliberalismus. Müde scheint er nicht zu werden, bis heute tourt er durch Talkshows, gibt Interviews und befruchtet den gesellschaftlichen Diskurs. Eigentlich wollte er Geistlicher werden, am liebsten in einem Orden. Dass er dies nicht packte, weil er "nicht ohne Frau(en) leben wollte", hat ihn damals schwer getroffen: "Ich fühlte mich wie ein entlaufener Mönch". Doch er hat eine andere Mission gefunden (die Politik) und seinen Frieden mit sich gemacht - nicht aber mit den Umständen in Deutschland und der Welt. Auch deshalb gab es zwei Heiner Geißlers: der frühe Aktivist gegen den "menschenverachtenden" Kommunismus und der späte Prediger gegen den "kranken, unsittlichen und ökonomisch falschen" Kapitalismus. Beide Systeme findet er pervers. Notwendig sei ein dritter Weg, einer, der die Menschen mit- und ernst nimmt und sie nicht den Kräften des Marktes überlässt. Zuweilen hört sich Geißler an wie Oskar Lafontaine: "Gerhard Schröder hat mit der Agenda-Politik die Seele der SPD verkauft." Oder: "Die totale Ökonomisierung der Gesellschaft führt zu einer Umkehrung der Werte." Von den Hartz-Reformen hält er ebensowenig wie der Saarländer, den er als einen der "klügsten Köpfe" der Politik bezeichnet. Und wie Lafontaine ist auch er den Globalisierungskritikern von "Attac" beigetreten. Zugleich verteidigt er aber den Wertekanon der CDU und damit die christdemokratische Programmatik, die er teilweise selbst formuliert hat (gemeinsam mit Kurt Biedenkopf und Richard von Weizsäcker). Auch deshalb kann er über gelegentliche Austrittsforderungen von übereifrigen Parteifreunden nur milde lächeln. Den Vorwurf, ein "Demagoge" zu sein, pariert er souverän: Wer gehört werden wolle, müsse zuspitzen. Denn "ohne Streit mit den Waffen des Geistes, also mit der Sprache, gibt es keinen Fortschritt". Heiner Geißler, der 1989 nach zahlreichen Differenzen mit Kohl von diesem als Generalsekretär geschasst wurde, trug elf Jahre später mit seinem Geständnis der "schwarzen Kassen" bei der CDU dazu bei, dass der Einheitskanzler seinen Heiligenschein verlor. Über den alten Weggefährten Kohl will er nicht mehr reden, das sei "verschwendete Zeit". Er selbst verbringt seine Zeit am liebsten mit der Familie (drei Söhne, fünf Enkel) - und in den Bergen, wo er seinen inneren Frieden sucht und findet. "Ich war seelisch immer absolut unabhängig", sagte er kürzlich der "Zeit". "Weil mich die Vorstellung, gegebenfalls als Bergführer zu arbeiten, vollkommen befriedigt hat. Vollkommen."

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