Cameron bangt um sein Amt

London · Premierminister David Cameron muss um sein Amt bangen – trotz Wirtschaftsaufschwung und sinkender Arbeitslosigkeit. Der Vorsitzende der Tories hatte in den vergangenen fünf Jahren viele Kämpfe auszufechten, auch in der eigenen Partei.

Als Premierminister David Cameron vor kurzem ankündigte, dass er eine dritte Amtszeit in Downing Street 10 ausschließe, rieben sich die Briten verwirrt die Augen. Weiß der konservative Politiker mehr als sie? Noch ist der 48-Jährige nicht für ein zweites Mandat wiedergewählt. Erst am 7. Mai entscheidet sich, ob er weitere fünf Jahre in der Downing Street wohnen und arbeiten wird oder die Koffer packen muss. Der Ausgang ist offen.

Dass Cameron mit seinen Äußerungen das Rennen um seine Nachfolge in den Reihen der Tories eröffnet und damit laut Medien riskiert hat, seinen Führungsanspruch innerhalb der Partei zu untergraben, gehört zu einer ganzen Serie von Pannen, die dem Premier in regelmäßigen Abständen unterlaufen. Mittlerweile schieben es viele Konservative auf ihren Chef, dass die Tories trotz Wirtschaftsaufschwungs und sinkender Arbeitslosigkeit nicht in Führung liegen, sondern zugunsten der kleinen Parteien verlieren.

Doch Cameron hatte in den vergangenen fünf Jahren viele Kämpfe auszufechten, unter anderem innerhalb der Tories, wo er den konservativen, EU-skeptischen Flügel beruhigen musste, der regelmäßig gegen seine "zu liberale Politik" rebellierte - etwa, als er die Homo-Ehe durchsetzte. Cameron wagte einen Spagat, der nicht immer glückte. Bei der Abstimmung über einen Syrien-Einsatz holte er sich statt einer Mehrheit eine politische Ohrfeige. Im von ihm angezettelten Machtkampf um den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker verlor der Engländer letztlich gegen seine europäischen Partner. Zwar schüttelte das internationale Publikum den Kopf über das blamable Auftreten, auf der Insel feierten ihn aber viele für den Aufstand und die "harte Hand" gegenüber Brüssel.

Gleichwohl gilt er als Getriebener von den EU-Hassern der Unabhängigkeitspartei Ukip. Um deren Erstarken zu verhindern und Hinterbänkler in den eigenen Reihen zu besänftigen, stellte er den Briten ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft für 2017 in Aussicht. Zudem setzte er auf Druck der Rechtspopulisten das Thema Immigration auf die politische Agenda und versprach eine drastische Reduzierung der Einwandererzahlen auf "Zehntausende". Dann zogen Hunderttausende über den Ärmelkanal.

Hinzu kommt, dass ihm noch immer zahlreiche Briten vorwerfen, das Schottland-Referendum im Herbst unterschätzt zu haben, als plötzlich die Abspaltungsbefürworter aufholten und Cameron erst in letzter Minute mit großen Zugeständnissen die Schotten zum Bleiben überreden konnte. Damit hat er die Büchse der Pandora geöffnet: Nun fordern auch Waliser, Engländer und Nordiren mehr Autonomie-Rechte.

Im Anschluss passierte ihm der nächste Patzer, als er in New York vor vermeintlich ausgeschalteten Mikrofonen dem Ex-Bürgermeister die Reaktion von Königin Elizabeth II auf den Ausgang des Unabhängigkeitsreferendums schilderte. Sie habe vor Freude "gar nicht mehr aufgehört zu schnurren". Kleinlaut und peinlich berührt entschuldigte sich der Premier für den Affront gegenüber der Queen.

Der Sohn eines Börsenmaklers und einer Adelsdame hat mit seiner Frau Samantha vier Kinder. Allerdings verstarb 2009 deren ältester Sohn Ivan, der an zerebraler Kinderlähmung und Epilepsie litt, im Alter von sechs Jahren. Damals trauerte das ganze Land mit dem Oppositionsführer. Ein gutes Jahr später wurde Cameron zum Premierminister gewählt.

Derzeit macht er wieder Wahlkampf und nicht immer eine glückliche Figur. So wollte sich der Premier, ein Nachfahre von König Wilhelm IV., kürzlich volksnah zeigen - ein Attribut, das Beobachter nicht unbedingt dem Absolventen der privaten Eliteschule Eton zuschreiben würden, auch wenn er zu Beginn seiner Amtszeit bei Tory-Anhängern als smart und charismatisch gefeiert wurde.

Cameron, selbst begeisterter Hobby-Koch, saß also im Garten eines Wählers, bekam einen Hotdog serviert und was machte der Premierminister ? Er verspeiste Wurst und Brötchen mit Messer und Gabel. Die Presse lästerte, in sozialen Medien zogen die Briten über den Premier her, der für viele das Establishment verkörpert wie kaum ein anderer. "Nur Silber-Service für die Privilegierten", so ein Kommentar. Der Politiker, Absolvent der Universität Oxford , sei "zu fein, um sich die Hände schmutzig zu machen", heißt es hinter vorgehaltener Hand bei einigen Tories. Cameron kämpft nicht nur um seine zweite Amtszeit, sondern auch um sein politisches Schicksal. Leere Plastikflaschen auf den Straßen, und im Supermarkt drängt der Kassierer seinen Kunden Einkaufstüten geradezu auf: Die Briten erscheinen nicht gerade als Vorreiter in Sachen Umwelt. Doch es tut sich etwas: Die Green Party, Großbritanniens Grüne Partei, hofft auf zwölf Sitze bei der Parlamentswahl am 7. Mai. Ihre Mitgliederzahl ist von 13 000 Ende 2013 auf 60 000 gestiegen. Schon ist von einer "Grünen Welle" die Rede. Die etablierten Parteien haben reagiert und mehr Umweltthemen in ihre Programme aufgenommen. Geht auf der Insel also bald eine grüne Saat auf? Wenn es nach Darren Hall geht, der für die Green Party in Bristol West kandidiert, dann ist die Zeit dafür reif: "Die Leute wissen, dass sich jetzt einiges ändern muss."

Im Wahlprogramm geht es natürlich viel um Umweltschutz: gegen übermäßigen CO{-2}-Ausstoß, für mehr Recycling, ein besseres Verkehrssystem und die Abschaffung der britischen Atomwaffen. Die Partei will aber auch eine fairere Wirtschaft etablieren sowie bezahlbaren Wohnraum und ein besseres Gesundheitssystem schaffen. Und dann gibt es da noch die Forderungen nach einem Grundeinkommen für alle und einem höheren Steuersatz für Reiche. Außerdem sollen Drogen legalisiert, Militärausgaben gedrosselt sowie die Mitgliedschaft in Terrororganisationen nicht mehr bestraft und die Monarchie abgeschafft werden. Solche Pläne klingen in britischen Ohren ziemlich radikal - und erinnern unwillkürlich an die parlamentarischen Anfänge der deutschen Grünen in den 1980er Jahren.

"Diese Partei wird jetzt als eine brauchbare Protestpartei wahrgenommen", sagt Sarah Birch, Politik-Professorin an der Universität Glasgow . Wie viele Experten glaubt jedoch auch sie, dass die Grünen im neuen Parlament - wie bisher - höchstens auf einen Sitz kommen werden.

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