Bundesverwaltungsgericht: Geiseln müssen Befreiung selbst zahlen

Leipzig. Mit versteinertem Gesicht steht Reinhilt Weigel (Foto: dpa) im schmucken Verhandlungssaal des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts. "Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Meine Geschichte verkaufen, ein Buch schreiben", stammelt sie verzweifelt

Leipzig. Mit versteinertem Gesicht steht Reinhilt Weigel (Foto: dpa) im schmucken Verhandlungssaal des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts. "Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Meine Geschichte verkaufen, ein Buch schreiben", stammelt sie verzweifelt. Der siebte Senat des obersten deutschen Verwaltungsgerichts hat die 36 Jahre alte Physiotherapeutin soeben verurteilt: Sie muss 12 640,05 Euro an die Bundesrepublik Deutschland überweisen. Kosten für einen Hubschrauberflug in Kolumbien, mit dem sie 2003 nach zehn Wochen Geiselhaft aus einem Rebellen-Gebiet in die Freiheit gekommen war.

Entführte Deutsche müssen die Zeche für ihre Befreiung selbst zahlen, urteilen die Richter gestern in ihrem Urteil, das Grundsatzwirkung haben dürfte. Weigel sagt, sie fühle sich ungerecht behandelt. Sie habe geklagt, nachdem sie gehört habe, dass andere Geiseln gerade mal ein Viertel so viel zahlen sollten.

Der Vertreter des Auswärtigen Amtes (AA), Benjamin Beckmann, hat dafür eine Erklärung: Das Amt verlange von Ex-Geiseln stets nur die Erstattung von Kosten, die ihnen "unmittelbar zugute" gekommen seien, Kosten für Arbeitsstunden von Konsularbeamten nicht mitgerechnet. Das könnten, je nachdem wie der Entführungsfall gelaufen ist, null Euro sein oder eben mehrere zehntausend. Bei der Vorlage der Abrechnung kann es deutschen Entführungsopfern besonders negativ ausgelegt werden, wenn Reisewarnungen ignoriert werden. So war die nun zur Kasse gebetene Reinhilt Weigel 2003 in eine Region Kolumbiens gereist, die damals von Rebellen dominiert wurde. Während einer mehrtägigen Wanderung zur prähistorischen Ruinenstadt "Ciudad Perdida" ("Verlorene Stadt") fiel sie in die Hände des linksgerichteten Ejército de Liberación Nacional, zu deutsch: Nationale Befreiungsarmee. Nach mehr als zehn Wochen wurden Weigel und ein spanischer Leidensgenosse am 24. November freigelassen.

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Sailer erklärt, gemäß dem Konsulargesetz habe die Behörde eigentlich keinen Ermessensspielraum bei der Festlegung der Höhe der Kosten. Im Gesetz stehe, Auslagen sind zu erstatten. Aber weil verfassungsmäßig vorgeschrieben ist, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss, dürfe und müsse das Auswärtige Amt seinen Kostenbescheid vom Einzelfall abhängig machen. Im Fall Weigel steht für ihn fest: "Die persönlichen Lebensumstände der Klägerin gebieten keine Reduzierung." Ohnehin habe das Amt nur einen Teil der auf 39 000 Euro veranschlagten Befreiungskosten verlangt. Zum Vergleich: Bei der Göttinger Familie Wallert, die im Jahr 2000 auf die philippinische Insel Jolo verschleppt worden war, verlangte das Auswärtige Amt "nur" 12 887 Mark (umgerechnet 6590 Euro) als "Erstattung von Auslagen". Die Region galt damals aber auch nicht als besonders gefährlich.

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