Bundestag debattiert über Sterbehilfe

Berlin · „Es gibt hier keine letzten Wahrheiten“: Abgeordnete der großen Koalition haben Voraussetzungen für einen Suizid todkranker Menschen mit Hilfe von Ärzten vorgelegt. Nun hoffen sie auf eine breite Debatte.

Am vergangenen Freitag wurde in Berlin ein Plakat mit Udo Reiter präsentiert. Es zeigte den früheren MDR-Intendanten mit geschlossenen Augen, daneben stand: "Mein Ende gehört mir!" Die Initiatoren einer Kampagne gegen ein Verbot der Sterbehilfe konnten die dramatischen Begleitumstände ihrer Pressekonferenz nicht ahnen. Denn es war der Tag, an dem sich Udo Reiter daheim erschoss.

Das aktive Töten auf Verlangen ist in Deutschland klar verboten, die passive Sterbehilfe aber nicht. Ärzte dürfen Maschinen und Medikationen abstellen, wenn der todkranke Patient es fordert. Und Angehörige dürfen Selbstmordwilligen einen Giftcocktail besorgen. Denn der Suizid ist nicht strafbar, also auch nicht die Beihilfe dazu. Allerdings, es gibt so manche Fehlentwicklung. So verbieten die Standesordnungen in etlichen Bundesländern den Medizinern, was das Gesetz zulässt. Ihnen drohen Berufsverbote. Es ist ein Sterbetourismus in die Schweiz entstanden und in Deutschland haben Ärzte wie der Urologe Uwe-Christian Arnold 200 Menschen geholfen, in den Tod zu gehen. Kommerzielle Anbieter und Sterbehilfevereine versuchen Fuß zu fassen. Vor allem die Union, angeführt von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU ), sieht dringenden Regelungsbedarf. Nun beschäftigt sich der Bundestag mit dem Thema. Am 13. November gibt es eine "Orientierungsdebatte", im Frühjahr Anhörungen, im Herbst 2015 soll abgestimmt werden. Der Fraktionszwang ist aufgehoben, es geht um die letzten Fragen des Lebens, also ums Gewissen. Seit gestern ist die Ausgangslage klarer. In Berlin stellte eine Gruppe um Ex-CDU-Generalsekretär Peter Hintze sowie den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach ihren Vorschlag vor. Es ist das bisher liberalste Konzept.

Ärzten soll die Sterbehilfe bei Erwachsenen gesetzlich erlaubt werden, wenn eine tödliche Erkrankung vorliegt und zwei von ihnen unabhängig die Ausweglosigkeit bescheinigen. Das Standesrecht soll dem angepasst werden. Strafgesetze gegen Sterbehilfeorganisationen wären damit nach Ansicht der Initiatoren überflüssig. Allerdings, so Hintze gestern, werde man sich nicht gegen eine Verbotsregelung sperren - so lange die Situation der Ärzte geregelt sei. "Aus dem Schutz des Lebens darf kein Zwang zur Qual werden."

Damit wäre der Vorstoß möglicherweise vereinbar mit dem zweiten vorliegenden Papier, das eine Gruppe um die Sozialausschuss-Vorsitzende Kerstin Griese (SPD ) präsentiert hat und das eher auf der Gröhe-Linie ist. Sie will mit den Mitteln des Strafrechts gegen die organisierte Sterbehilfe vorgehen, inklusive solcher Ärzte , die die Sterbehilfe "regelmäßig betreiben". Gleichzeitig soll die Palliativmedizin und die Hospizbetreuung erheblich ausgebaut werden. Die Rechtslage der Ärzte aber lässt der Vorstoß bisher offen.

Der Fuldaer CDU-Abgeordnete Michael Brand lotet für die Union nun Kompromisse aus. Konservative Parlamentarier wie der Katholik Hubert Hüppe (CDU ) verlangen, dass zusätzlich ein Werbeverbot für die Sterbehilfe auch im Internet in den Griese-Antrag aufgenommen und passive Suizidunterstützung verboten wird, wenn ein "eigennütziges Interesse" des Helfers vorliegt. Gelingt das nicht, könnte von dieser Seite noch ein eigener Antrag eingebracht werden, der vermutlich wesentlich rigider wäre. Ganz anders sehen die grüne Abgeordnete Renate Künast und Petra Sitte (Linke) die Dinge. Sie wollen Sterbehilfevereine ausdrücklich zulassen, sofern sie nicht kommerziell sind.

Zum Thema:

HintergrundBei der Frage nach dem Ende lebenserhaltender Maßnahmen muss der mutmaßliche Sterbewunsch von Schwerkranken künftig stärker beachtet werden. Das gilt auch, wenn der Patient nicht unmittelbar vom Tod bedroht ist, wie der Bundesgerichtshof in einem gestern veröffentlichten Beschluss entschieden hat (AZ: XII ZB 202/13). epd

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