Abschied von Kohl Wie der Patriarch sein Mädchen prägte

Er war ihr Übervater, dann emanzipierte sie sich: Von Helmut Kohl hat Kanzlerin Angela Merkel viel abgeguckt. Und ist doch ganz anders.

 Gute Zeiten: Kanzler Kohl und sein Mädchen Merkel, damals CDU-Vizevorsitzende, 1994 in Bonn.

Gute Zeiten: Kanzler Kohl und sein Mädchen Merkel, damals CDU-Vizevorsitzende, 1994 in Bonn.

Foto: dpa/Tim Brakemeier

Berlin Anfänglich haben sie sich gemocht, dann bekämpft und am Ende Frieden geschlossen: Der ehemalige CDU-Chef und Bundeskanzler Helmut Kohl und seine Nachfolgerin Angela Merkel. Was steckt vom Politikertypus Kohl in Merkel – und was nicht?

Gestern trug sich die Kanzlerin auch im Konrad-Adenauer-Haus der Union in das Kondolenzbuch für den am vergangenen Freitag verstorbenen Kohl ein. Merkel schrieb: „Er hat über ein Vierteljahrhundert die CDU als ihr Vorsitzender geprägt und modernisiert.“ Inzwischen trifft dieses Urteil auch auf Merkel selber zu – seit 17 Jahren ist sie Parteichefin, seit zwölf Jahren Kanzlerin, und Merkel schickt sich an, nach der Bundestagwahl am 24. September mit Kohls 16 Jahren im Kanzleramt gleichzuziehen. Auch sie hat die Union geprägt, verändert, modernisiert, manche sagen kritisch sozialdemokratisiert. Beide eint, dass sie immer versucht haben, die CDU in der Mitte zu halten.

Ohne Zweifel: Helmut Kohls „Mädchen“, so nannte er sie anfangs, hat sich einiges vom Lehrmeister abgeschaut. Kritik lässt sie an sich abtropfen. Die CDU-Chefin hat in ihrer Kanzlerschaft begriffen, dass große Veränderungen schwer durchzusetzen sind, deswegen ist die „Politik der kleinen Schritte“ zu ihrem Maßstab geworden. Meist positioniert sich Merkel erst, wenn sich die Waagschale in den internen Debatten in die eine oder andere Richtung geneigt hat. Abwarten, abwägen, analysieren – das gehört zu ihrem moderierenden Regierungsmanagement. Vor ein paar Jahren ließ sie wissen, warum: „Ich habe bei Helmut Kohl gelernt, dass es besser ist, nicht immer schon am Anfang zu entscheiden und Basta zu rufen.“

Beim Altkanzler nannte man das freilich „aussitzen“. Bei Merkel heißt es, sie „zaudere“. Tatsächlich empfindet sie den Vorwurf als belanglos. Denn aus Sicht Merkels ist es besser, komplizierte Sachverhalte erst einmal zu durchdenken. Nicht immer sind alle Konsequenzen auf den ersten Blick klar. In ihrer dritten Amtszeit ist die Schelte des Zauderns allerdings kaum noch gegen sie erhoben worden, weil Merkel 2015 mit ihren Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik erstmals von ihrem eigenen Prinzip abwich. Kohl hingegen musste sich 16 Jahre lang den Vorwurf des Aussitzens gefallen lassen. Obwohl der Mann aus Oggersheim 1989/90 beherzt die Deutsche Einheit herbeiführte.

Kohl war auch dafür bekannt, als Patriarch in niedere Parteigliederungen hineinzuregieren, und Kritik speicherte er in seinem Elefantengedächtnis. Vergeben war nicht seine Sache. Von Merkel ist das nicht überliefert. Was daran liegen mag, das beide doch grundverschiedene Typen sind: Er der barocke pfälzische Katholik, seit seiner Jugend mit der CDU eng verwoben. Sie die eher spröde protestantische Pfarrerstochter und Physikerin, die erst nach der Wende zur CDU kam. Und es gibt noch einen Unterschied: Kohl war ein Kämpfer, der zugleich viel auf sein Bauchgefühl gehört hat. Merkel dagegen ist eher eine kühle Taktikerin, der es indes nicht an Durchsetzungskraft fehlt, wenn sie es für notwendig hält. So wie Ende 1999, als sie, damals CDU-Generalsekretärin, in der Spendenaffäre den Bruch mit dem Übervater wagte. Seitdem hat Merkel sich noch gegen alle durchgesetzt. Wie Kohl auch – bis zu seiner Abwahl 1998.

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