„Italiens Probleme sind lösbar“ - Finanzexperte Gerke: Herabstufung der Kreditwürdigkeit nicht überbewerten

Berlin · Die Schuldenkrise im Euro-Raum spitzt sich weiter zu, nachdem die US-Ratingagentur Standard & Poor`s die Kreditwürdigkeit Italiens herabgestuft hat. Unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter sprach darüber mit dem Bankenexperten und Präsidenten des Bayerischen Finanzzentrums, Wolfgang Gerke.

Herr Gerke, was bedeutet die italienische Hiobsbotschaft für den Euro-Raum?
Wolfgang Gerke: Der Markt ist sicher erst einmal geschockt. Italien ist für den Euro-Raum wesentlich bedeutender als Griechenland. Auf der anderen Seite darf man die Herabstufung aber auch nicht überbewerten. Die Probleme Italiens sind lösbar. Allerdings bestehen Zweifel an der politischen Handlungsfähigkeit des Landes. Da hat Rom jetzt eine Bringschuld.

Wie beurteilen Sie die italienische Wirtschaftskraft?
Gerke: Italien ist wirtschaftlich besser aufgestellt als Griechenland. Es gibt eine international aktive Industrie. Die Wachstumsrate Italiens wird nach den Prognosen des Internationalen Währungsfonds im nächsten Jahr allerdings nur 0,5 Prozent betragen. Die Verschuldung liegt bei 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das sind sehr schlechte Zahlen.

Woher soll das Wachstum auch kommen, wenn Italien jetzt noch mehr sparen soll.
Gerke: Italien muss effizienter werden. Das reicht vom Steuersystem bis zur Staatsverwaltung. Da ist noch viel Potenzial. Natürlich könnte man die Wirtschaft mit viel Geld ankurbeln. Aber das hieße noch mehr Verschuldung. Angesichts des jetzt schon gigantischen Schuldenstandes ist das keine Alternative mehr. Italien braucht eine glaubwürdige Wirtschaftspolitik und keinen Wirrwarr bei Sparbeschlüssen.

Angenommen, Italien bekommt die Kurve nicht. Wäre das Land ein Fall für den Euro-Rettungsschirm?
Gerke: Nein, das wäre nicht zu stemmen. Zumindest nicht zu akzeptablen Konditionen für die Retter. Italien ist ja die drittgrößte Volkwirtschaft im Euro-Raum. Es ist jetzt schon inakzeptabel, dass die Europäische Zentralbank in großem Umfang italienische Anleihen aufgekauft hat und damit in die Staatsfinanzierung eingetreten ist. Es wäre fatal, wenn man die jüngste Herbstufung der Kreditwürdigkeit zum Anlass nehmen würde, auf diesem Weg noch stärker aus der Währungsunion eine Transferunion zu machen.

Führende deutsche Politiker sagen, die geordnete Insolvenz eines Landes sei erst ab 2013 mit dem neuen europäischen Stabilitätsmechanismus ESM möglich. Was halten Sie davon?
Gerke: Ich halte das für einen Vorwand, um eine Diskussion über solche Mechanismen zum jetzigen Zeitpunkt zu verhindern. Natürlich kann es Zwänge geben, die eine möglichst geordnete Insolvenz erforderlich machen.

Sie meinen Griechenland?
Gerke: Ja. Wenn man Griechenland jetzt kein weiteres Geld gibt, ist das Land in der Insolvenz drin. Und dann macht es natürlich Sinn, das Ganze so gut wie möglich zu ordnen. Eine geordnete Insolvenz von Griechenland, also der Austritt aus dem Euro und die Rückkehr zur Drachme sowie ein Schuldenschnitt von etwa 50 Prozent, hätte man schon vor einem Jahr durchführen müssen.

Ist Griechenland noch zu retten?
Gerke: Nein. Man kann die Insolvenz verschleppen, man kann sie auf die übrigen Euro-Länder umlegen, aber die Lasten der Insolvenz bleiben. Es gibt keinen Weg ohne Schmerzen. Auch Deutschland wird das viel Geld kosten. Aber umso länger man wartet, desto mehr Geld kostet es.

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