Gesundheitsökonom Wasem lobt Reform der Regierung

Saarbrücken · Nach Einschätzung des Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem werden durch die gestern im Bundeskabinett verabschiedete Gesundheitsreform anfangs rund 15 Millionen Versicherte finanziell entlastet. Auf längere Sicht seien Beitragssteigerungen jedoch unvermeidlich, sagte Wasem im Gespräch mit unserem Berliner Korrespondenten Stefan Vetter:

Herr Wasem, Gesundheitsreformen waren noch nie sonderlich populär. Muss der Versicherte mal wieder draufzahlen?
Wasem: Bei der aktuellen Reform steht das nicht im Mittelpunkt. Aber klar ist, wir sind eine alternde Gesellschaft, und der medizinische Fortschritt wird tendenziell teurer. In den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten werden die Beiträge deshalb kräftig steigen.

Der allgemeine Beitrag wird ab 2015 zwar abgesenkt. Aber im Gegenzug wird ein Zusatzbeitrag notwendig. Was halten Sie von dieser Umfinanzierung?
Wasem: Das ist deswegen sinnvoll, weil wir in den letzten Jahren eine Situation hatten, in der die Kassen mitunter sehr knapp kalkulierten, um einen Zusatzbeitrag tunlichst zu vermeiden. Wenn einer Kasse das nicht gelang, liefen ihr die Mitglieder in Scharen davon. Durch die Reform stehen nun alle Kassen vor der Situation, sehr rasch einen Zusatzbeitrag erheben zu müssen.

Und was bedeutet das?
Wasem: Wenn alle Kassen beim Zusatzbeitrag im Boot sind, dann kann man davon ausgehen, dass bei ihnen Qualitäts- und Versorgungs-Aspekte wieder eine stärkere Rolle spielen werden. Und das kommt den Patienten zugute

Wie wird sich der Zusatzbeitrag entwickeln?
Wasem: Ab 2015 entfällt ja der Sonderbeitrag von 0,9 Prozentpunkten, den allein die Versicherten getragen haben. Ich gehe davon, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag aller Kassen im nächsten Jahr unter 0,9 liegen wird, weil es zahlreiche Kassen gibt, die über hohe Rücklagen verfügen. In den Folgejahren wird der Zusatzbeitrag jedoch um jeweils 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte steigen, weil zu erwarten ist, dass die Ausgabenzuwächse der Kassen oberhalb der Lohn- und Rentenzuwächse liegen werden.

Wer kann 2015 auf eine Entlastung hoffen?
Wasem: Das sind in erster Linie die Versicherten der Techniker Krankenkasse, der AOK Plus und einiger großer Betriebskrakenkassen. Diese Kassen stehen wirtschaftlich sehr gut da. Ich gehe davon, dass so im kommenden Jahr etwa 15 Millionen Versicherte einen geringeren Beitrag bezahlen werden als heute.

Mit der Reform entfällt die Möglichkeit, dass finanzstarke Kassen an ihre Versicherten Prämien auszahlen Wasem: Der alte Zusatzbeitrag war ja pauschal in Euro. Der neue ist ein prozentualer Zusatzbeitrag vom Lohn. Wenn der Zusatzbeitrag weiter steigt, werden Gutverdiener folglich stärker belastet als nach der jetzigen Regelung. Und in Verbindung damit, keine Prämien mehr ausschütten zu können, sind die Privatkassen tatsächlich ein Gewinner dieser Lösung. Wie stark die Abwanderung wird, kann aber keiner seriös vorhersagen.

Künftig müssen Arbeitnehmer und Rentner die steigenden Gesundheitskosten allein schultern, denn der allgemeine Beitragsatz, den der Arbeitgeber zur Hälfte mitfinanziert, wird bei 14,6 Prozent eingefroren. Ist das politisch haltbar?
Wasem: Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitgeber seine Kosten natürlich auch über geringere Lohnsteigerungen auf die Beschäftigten abwälzt. Umgekehrt heißt das, wenn der Arbeitgeberbeitrag festgeschrieben wird, haben die Gewerkschaften größere Spielräume in den Tarifverhandlungen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass der Arbeitgebebeitrag auf ewig bei 7,3 Prozent bleibt, während der Arbeitnehmer bereits zwölf oder 13 Prozent zahlen müsste. Da bekommen wir sicherlich eine heftige politische Debatte.

Nach der Reform ist also vor der Reform?
Wasem: Das gilt im Gesundheitswesen immer, denn es gibt nicht d e n großen Wurf, der alle Probleme löst.

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