Stadt und Land investieren jährlich über 900 000 Euro zusätzlich in Zweibrücker Kitas Stadt kann arme Kinder jetzt besser fördern

Zweibrücken · Kitas in Zweibrücker Gebieten, wo viele sozial Benachteiligte leben, erhalten ab Juli mehr Personal – um Eltern und vor allem Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen.

  Zweibrücken hat erschreckende Daten erhoben: Armut hat schon bei Grundschulkindern negative Folgen auf die Zahngesundheit.

Zweibrücken hat erschreckende Daten erhoben: Armut hat schon bei Grundschulkindern negative Folgen auf die Zahngesundheit.

Foto: A3361 Stephanie Pilick

Armut ist ein Phänomen, das für nicht Betroffene oft im Verborgenen bleibt. Doch manchmal ist schon bei kleinen Kindern einfach zu erkennen, ob sie in aus einem wohlhabenden oder armen Elternhaus kommen: an den Zähnen. Denn eine Auswertung der Zahn-Untersuchungen von Grundschülern in Zweibrücken zeigt: Dies Karies-Risiko hängt statistisch stark auch davon ab, wo man in Zweibrücken lebt.

Während im Untersuchungsgebiet Mittelbach/Wattweiler nur 7,7 Prozent der Grundschüler Behandlungsbedarf und erhöhtes Karies-Risiko hatten, waren es im Gebiet Steinhauser Straße/Canadasiedlung 63,2 Prozent. Schlechter als im Zweibrücker Durchschnitt (43,5 Prozent) ist die Zahngesundheit auch in Stadtmitte (47,1 %) und Ernstweiler (44,8 %), nur ganz knapp darunter liegt Niederauerbach (43,3 %).

Die Zahngesundheit ist eines von mehreren Kriterien, anhand derer die Stadt kürzlich hat untersuchen lassen, wo in Zweibrücken Kinder besondere Unterstützung brauchen, weil sie in einer Gegend mit hohem Armutsrisiko leben. Anlass der Studie war eine Änderung des rheinland-pfälzischen Kindertagesstättengesetzes – das Kitas, die in besonderen „Sozialräumen“ liegen, ab 1. Juli zusätzliche Stellen mit 60 Prozent Landes-Zuschuss finanziert, um sozialen Benachteiligungen infolge der Herkunft pädagogisch besser entgegenwirken zu können.

„Sozialräume“ beschreibt nicht etwa das, was Beschäftigte aus Unternehmen kennen (wie Teeküchen) – sondern ist ein seit einigen Jahren in Fachkreisen gebräuchliches Wort für das, was lange Zeit unter dem stigmatisierenden Begriff „soziale Brennpunkte“ bekannt war.

Um aber an Geld für das neue „Sozialraumbudget“ zu kommen, müssen Kommunen dem Land nachweisen, dass im Einzugsgebiet einer Kita ein hohes Risiko sozialer Benachteiligung besteht. Weitere Auffälligkeiten neben der Zahngesundheit: Der Anteil unter Siebenjähriger ohne deutsche Staatsbürgerschaft ist allein in der Stadtmitte über dem Zweibrücker Durchschnitt von 17,2 Prozent, und das deutlich (28,9 %). Der Anteil unter Siebenjähriger, deren Eltern Hilfen zur Erziehung in Anspruch nehmen, ist in Bubenhausen fast dreieinhalb mal so hoch wie im Zweibrücker Durchschnitt, sonst liegen nur Ixheim und Ernstweiler über dem Schnitt. Beim Armuts-Indikator „Bildungs- und Teilhabe-Paket-Leitungen“ liegen die Kinder in Bubenhausen und mit weitem Abstand Stadtmitte über dem Mittelwert.

Zudem wurden für die Untersuchung die Kita-Leitungen befragt, um Erkenntnisse über Merkmale zu gewinnen, „deren gehäuftes Auftreten soziale Benachteiligungen Begründen“, wie es in der vom Jugendamt Zweibrücken und dem Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz erstellten Untersuchung heißt: Alleinerziehung, Analphabetismus bei Eltern, Arbeitslosigkeit, Armut, beengte Wohnverhältnisse, psychische Belastungen der Eltern, Eltern mit niedrigem Bildungsniveau, soziale Desintegration und Suchtproblematiken in der Familie.

Das Ergebnis aller Daten-Erhebungen: Das neue „Sozialraumbudget“ wird für zusätzliche Stellen (hier in Vollzeit umgerechnet, de facto handelt es sich teils um Teilzeitstellen) wie folgt eingesetzt: für „Kita-Sozialarbeit“ jeweils eine Stelle in kommunalen und in konfessionellen Kindertagesstätten in Stadtmitte, Steinhauser Straße/Canadasiedlung und Bubenhausen. Für „Elternbegleitung“ der fünf Zweibrücker Spiel- und Lernstuben (nachmittags von Schülern besucht) 1,5 Stellen. Für „interkulturelle Fachkräfte“ vier Stellen. Für ein „multiprofessionelles Team mit besonderem Fokus auf Gesundheitsförderung und Resilienzstärkung“ eine Stelle für die künftige Kita an der Gabelsbergerstraße sowie 90 Stunden pro Woche für die Spiel- und Lernstuben zusammen 90 Stunden pro Woche (entspricht gut zwei Stellen). Der Stadtrat hatte das Konzept in seiner Mai-Sitzung einstimmig gebilligt.

Allerdings sind die meisten Stellen zum gesetzlich möglichen Projekt-Start noch unbesetzt, ergab diese Woche eine Merkur-Anfrage. Die Stadtverwaltung antwortete, dass zum 1. Juli 2,5 der 8,5 Stellen und 45 der 90 Stunden besetzt sind. Eine weitere Stelle folge bald, weil dafür das Personal schon ausgewählt sei (Aufschlüsselung siehe Info-Box).

3,5 der 8,5 Stellen und 45 der 90 Stunden würden durch Teilzeitstellen-Aufstockung mit vorhandenem Personal abgedeckt.

Woran liegt es, dass so viele Stellen noch offen sind? Fachkräftemangel? Nein, dafür gibt es (zumindest noch) keine Anhaltspunkte. Stadtsprecher Jens John erläutert: „Da erst die Beschlüsse im Mai gefasst wurden, sind noch gar nicht alle Stellen im Stellenplan. Diese müssen teilweise erst geschaffen werden. Die Ausschreibung der noch offenen Stellen bei der Stadt soll in den nächsten Wochen erfolgen. Die freien Träger werden die ihnen zugesprochenen Stellen sicherlich auch zeitnah ausschreiben.“

Laut der Stadtrats-Vorlage stünde Zweibrücken (bei Besetzung aller Stellen, Anm. d. Red.) für das zweite Halbjahr 2021 ein Sozialraumbudget von rund 441 000 Euro zur Verfügung, im ganzen Jahr 2022 werden es 903 000 Euro sein, diese Summe steigt bis 2026 kontinuierlich auf 999 000 Euro. Jeweils 60 Prozent davon übernimmt das Land.

Ziel des Sozialraumbudgets ist laut dem vom Stadtrat gebilligten Konzept „die Überwindung struktureller Benachteiligungen“. Kindertageseinrichtungen seien „sehr geeignete Orte, um alltagsnah und für Eltern leicht zugänglich Begegnungs-, Beratungs- und Bildungsangebote zu verankern, die Fragen und Themen rund um den Familienalltag und die Erziehungsaufgabe aufgreifen und die Selbsthilfepotentiale u. a. durch Impulse zur Vernetzung und wechselseitigen Unterstützung der Eltern untereinander zu stärken.“

Auch „erlebnisorientierte Ansätze“ sind geplant. So sollen „Kinder erleben, wie mit frischen Produkten gekocht wird, sie selbst an der Zubereitung mitwirken können und gemeinsam gegessen wird“.

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