Gericht ordnet Rückgabe an Fall um Inobhutnahme in Zweibrücken eskaliert

Update | Zweibrücken · Das Jugendamt nahm einen Jungen in Obhut, doch das Familiengericht ordnete die Rückgabe an. Dagegen zieht die Stadt vors OLG. — UPDATE am Ende des Artikels: Das Oberlandesgericht hat jetzt geurteilt.

Ein (schon etwas älteres) Kita-Kind ist vom Jugendamt nach vielen Jahren aus seiner Pflegefamilie geholt worden – nicht rechtens, befand das Familiengericht per einstweiliger Anordnung.

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Nach einem Vorfall vorigen November in einer Zweibrücker Kindertagesstätte hat diese dem städtischen Jugendamt einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung gemeldet. Noch am selben Tag hat das Jugendamt den Jungen in Obhut genommen – das heißt, ihn den Pflegeeltern entzogen und in einem Heim untergebracht. Doch das Familiengericht (Amtsgericht Zweibrücken) hat diese Entscheidung gekippt: Es diene dem Kindeswohl mehr, wenn das Kind vorerst in die Pflegefamilie zurückkehre.

Pflegeeltern, Stadt Zweibrücken und Justiz ringen um Kindeswohl

Der Merkur berichtet über diesen Fall, weil er am Dienstag öffentlich im städtischen Rechtsanspruch verhandelt wurde, ergänzend dazu gaben Mitglieder der Pflegefamilie, deren Rechtsanwältin und am Mittwoch auch das Jugendamt unserer Zeitung weitere Auskünfte. Zum Schutz des Kindes und aller familiär involvierten Erwachsenen wird in diesem Bericht auf sämtliche Details verzichtet, die eine Identifizierung möglich machen könnten.

Laut dem Sachverhalts-Vortrag der Ausschussvorsitzenden Annegret Bucher (Rechtsamtsleiterin) legten die Pflegeeltern Widerspruch gegen die Entscheidung ein und klagten zudem beim Verwaltungsgericht Neustadt. Dieses lehnte die Anträge im Eilverfahren ab – aus rein formalen Gründen, denn Pflegeeltern seien bei Inobhutnahmen nicht antragsberechtigt.

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Jugendamt hat Familiengericht erst nachträglich angerufen

Offensichtlich ist nach den Merkur-Recherchen: Das Jugendamt muss die Gründe für sehr schwerwiegend gehalten haben, den Pflegeeltern das Kind zu entziehen. Denn letztlich entscheiden muss darüber laut BGB § 1666 und Sozialgesetzbuch VIII das Familiengericht. Dieses hat das Jugendamt aber erst n a c h t r ä g l i c h angerufen – was es laut SGB VIII § 8 a nur in einem ganz bestimmten Fall darf und auch muss: „Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen.“

Das Amtsgericht allerdings ist hinsichtlich der Frage der Kindeswohl-Einschätzung zu einer ziemlich anderen Einschätzung als das Jugendamt gekommen. Am 19. Dezember ordnete die Familienrichterin an, das Jugendamt müsse das Kind „unverzüglich“ in die Obhut der Pflegefamilie zurückgeben – was auch geschah.

Jugendamt legt Beschwerde gegen Entscheidung des Gerichts ein

Doch das Jugendamt hat Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt, nächste Instanz ist das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG Zweibrücken).

Ohnehin aber bedeutet die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts noch keine endgültige Entscheidung.

Zwar sah die Familienrichterin laut Beschluss-Begründung nach Abwägung mehrerer Faktoren das Kindeswohl durch die Herausnahme aus der Pflegefamilie als gefährdet an. Denn: Für den Tag nach dem Beschluss hatte das Jugendamt geplant, das Kind von der ersten in eine zweite Einrichtung zu übergeben, auch dies sei aber nur eine Übergangslösung. Aufgrund einer seit der Geburt bestehenden Erkrankung und daraus resultierenden auch emotionalen Störungen sei das Kind aber auf eine konstante Betreuung angewiesen, so das Gericht. Durch die Herausnahme aus der Pflegefamilie (die sich in den vielen Jahren zu „sozialen Eltern“ des Kindes entwickelt hätten) und die Unterbringung in wechselnden Einrichtungen drohe der Junge in seiner Entwicklung zurückgeworfen zu werden und „nachhaltigen Schaden“ zu erleiden.

Andererseits sah auch das Familiengericht „Anhaltspunkte dafür, dass es unmittelbar vor der Inobhutnahme und möglicherweise auch schon länger zu einem inadäquaten Erziehungsverhalten gekommen ist, das womöglich die Folge von Überforderungssituationen bei der Betreuung des krankheitsbedingt hoch auffälligen Kindes ist“.

Gutachten soll Klarheit bringen

Das Ausmaß sei schwer einzuschätzen. Deshalb solle das Kind lediglich zunächst zu seinen Pflegeeltern zurückkehren. Im Hauptsacheverfahren werde über ein Sachverständigen-Gutachten geprüft, ob der weitere Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie dem Kindeswohl dient oder nicht.

Um sicherzustellen, dass derweil nicht das Kindeswohl in Gefahr gerät, hat das Gericht sowohl gegenüber den Pflegeeltern als auch dem Jugendamt Auflagen erlassen. Das Amt solle eine Sozialpädagogische Familienhilfe installieren, und zwar „alsbald“. (SGB VIII § 31: „Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben.“) Bis dahin müssten die Pflegeeltern dem Jugendamt täglich per E-Mail kurz Bericht über die Betreuung des Kindes und etwaige Auffälligkeiten erstatten.

Streit um Installation von Familienhilfe

Das Jugendamt allerdings hat keine Sozialpädagogische Familienhilfe installiert. Und werde dies auch nicht tun, weil man dies für keine geeignete Maßnahme halte, erklärt die Pädagogische Leiterin Petra Buchmann auf Merkur-Nachfrage. Stattdessen hätten die Pflegeeltern einmal wöchentlich einen Termin beim Kinderschutzdienst. Zudem könnten sich die Pflegeeltern bei Fragen an die Erziehungsberatungsstelle wenden. Buchmann: „Das ist für uns die pädagogisch sinnvollere Maßnahme.“ Und auch über die Kita erführe man ja, falls es dem Kind nicht gut ginge.

Buchmann und Verwaltungs-Jugendamtsleiter Jörg Klein sagen, dass man natürlich akzeptieren würde, falls das OLG der Entscheidung des Familiengerichts folge. Allerdings bleibe man bei der Einschätzung, das Wohl des Kindes sei in der Pflegefamilie gefährdet. Buchmann und Klein betonen, das Zweibrücker Jugendamt hole Kinder nicht leichtfertig aus Familien. Nach dreißig Jahren im Amt könne sie sich an keinen anderen Fall erinnern, wo das Gericht der Herausnahme aus einer Pflegefamilie widersprochen habe, so Buchmann: „Wir haben viel Vertrauen in die Pflegefamilien. Es muss viel vorfallen, um zu sagen, wir holen ein Kind da raus.“

Laut Buchmann dauern Gutachten in der Regel vier bis sechs Monaten. Da es schon in Arbeit sei, hoffe man auf Fertigstellung bis Mai und dann bald eine OLG-Entscheidung.

Die Pflegeeltern und ihre Rechtsanwältin Ulrike Kahl-Jordan (Kanzlei AWKJ Pirmasens) machten im Rechtsausschuss und anschließend gegenüber dem Merkur deutlich, dass für den Jungen die Inobhutnahme eine traumatische Erfahrung gewesen sei.

Zudem bewege man sich nun in einer Art rechtsfreiem Raum. Wie auf Merkur-Nachfrage gleichlautend auch das Jugendamt bestätigt, lebt der Junge nun zwar wieder bei den Pflegeeltern – diese haben infolge der Entwicklungen aber nicht mehr den Status „Pflegeeltern“, sodass sie auch das Pflegegeld hierfür nicht mehr bekommen. Auch deshalb wurde der Widerspruch im Rechtsausschuss aufrechterhalten (die Entscheidung ist noch nicht verkündet, ist der Anwältin aber wichtig, um weiter beim Verwaltungsgericht klagen zu können).

UPDATE (Aus Pfälzischer Merkur 18.3.2024):

Oberlandesgericht gibt Pflegeeltern recht

Zweibrücken (lf/jam) Der sechsjährige Junge, den das Zweibrücker Jugendamt Ende vergangenen Jahres aus einer Pflegefamilie herausgenommen und in einem Heim untergebracht hatte (wir berichteten), darf weiter bei der Familie bleiben, die auch wieder offiziell und rückwirkend Rückkehr des Kindes Pflegefamilie ist mit den damit verbundenen finanziellen Zuwendungen (Pflegegeld). Das hat das Oberlandesgericht Zweibrücken entschieden. Die Richter sahen in ihrem Beschluss zwar wie das Jugendamt die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung, weil die Pflegeeltern aus verschiedenen Gründen teilweise überfordert gewesen seien – das Kind aus der Familie zu nehmen, in der es sich wohl fühlt und in der es seit seinem dritten Lebensmonat lebt, sei aber eine schwerwiegendere Gefährdung für das Kindeswohl.

Der Merkur hatte erstmals über diesen Fall berichtet, als er öffentlich im städtischen Rechtsanspruch verhandelt wurde. Ergänzend dazu gaben Mitglieder der Pflegefamilie, deren Rechtsanwältin und auch das Jugendamt unserer Zeitung weitere Auskünfte. Zum Schutz des Kindes und aller familiär involvierten Erwachsenen wird in diesem Bericht auf sämtliche Details verzichtet, die eine Identifizierung möglich machen könnten.

Um den Eltern bei der Erziehung des Kindes, das aufgrund einer seit der Geburt bestehenden Erkrankung und daraus resultierenden auch emotionalen Störungen ständige Betreuung braucht, habe, ist in dem Beschluss weiter nachzulesen, außerdem bereits das Familiengericht als Vorinstanz eine sozialpädagogische Familienhilfe als hilfreiche Maßnahme genannt (SGB VIII § 31: „Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben.“). Mit diesem Instrument und weiteren Auflagen wie einer regelmäßigen Berichtspflicht sei eine Besserung der Lage zu erwarten und daher das Kind in der Familie zu belassen.

Gegen diese Entscheidung hatte das Zweibrücker Jugendamt Beschwerde eingelegt. Es seien nicht alle beteiligten Institutionen, etwa der (offiziell nicht bekannte) leibliche Vater des Kindes oder das Heim, in dem der Junge untergebracht war, gehört worden und außerdem sei die Kindeswohlgefährdung durch die Überforderung der Pflegeeltern schwerwiegender als eine mögliche Heimunterbringung des Kindes. Hier mag auch hineinspielen, dass das Verhältnis zwischen Pflegefamilie und Jugendamt, wie im Beschluss des OLG Zweibrücken nachzulesen ist, aufgrund eines anderen Falles als schwer belastet gilt: Misstrauen des Jugendamtes der Familie gegenüber, Angst der Familie, aufgrund der früheren Vorgänge unter besonderer Beobachtung seitens des Jugendamtes zu stehen.

Nachdem das Stadtjugendamt erklärt hatte, dass ein Pflegeverhältnis spätestens seit dem Tag wieder besteht, an dem das Kind wie auch von ihm selber gewünscht in seine Pflegefamilie zurückgekommen war, und sich das Jugendamt auch verpflichtet hat, entsprechende Anträge auf Pflegegeld zu stellen, hat die Familie nach Angaben ihrer Anwältin die verwaltungsgerichtliche Klage zurückgenommen.

„Wir sind für unsere Mandanten und insbesondere das Kind erleichtert, dass eine gewisse Rechtssicherheit nun gegeben ist, bemerkenswerterweise hat die Ergänzungspflegerin nach den massiven Hinweisen des Gerichts nun auch endlich sogleich Antrag auf Pflegegeld für die Pflegeeltern beziehungsweise das Kind gestellt, wie sie jetzt erst bestätigt“, schreibt die Anwältin der Familie, Ulrike Kahl-Jordan aus Pirmasens. Sie finde, schreibt sie, „diese Vorgänge, die im Übrigen in Zweibrücken kein Einzelfall sind, geradezu skandalös“. Die Gesellschaft und auch die Jugendämter seien in immer größerem Maße auf Dienstleistungen und Engagement von Pflegeeltern angewiesen „und sollten deren wahrhaftig schwierige Tätigkeit nicht mit bürokratischer Selbstgefälligkeit und Arroganz erschweren“. Sie schließt mit einer Warnung: „Aufgrund der beruflichen Erfahrungen in unserer familienrechtlichen Fachanwaltskanzlei können wir nur raten, vor Aufnahme eines Pflegekindes sich im hohen Maße juristisch beraten und vertraglich absichern zu lassen.“