„Wir sind der erste Schritt“

Zweibrücken · Jeder fünfte Zweibrücker hat einen Migrationshintergrund. Dem Stadtrat war das bislang allerdings gar nicht anzusehen. Das ändert sich jetzt mit dem Einzug der jungen Sozialdemokratin Pervin Taze und des einstigen Asylbewerbers Ibrahim Al-Saffar. Der Pfälzische Merkur mit beiden über ihre Erfahrungen und Ziele gesprochen.

 Ein Trio mit Migrationshintergrund: Ibrahim Al-Saffar, der „Zweibrücker Löwe“ und Pervin Taze. Foto: Lutz Fröhlich

Ein Trio mit Migrationshintergrund: Ibrahim Al-Saffar, der „Zweibrücker Löwe“ und Pervin Taze. Foto: Lutz Fröhlich

Foto: Lutz Fröhlich

Zweibrücken ist seit Jahrhunderten von seinen internationalen Verbindungen geprägt. Zu seinen historisch bedeutendsten Einwohnern gehört ein Asylant: Polenkönig Stanislaus Lesczynski, der hier vor 300 Jahren Asyl fand. Laut "Zensus 2011" haben 6910 Zweibrücker einen "Migrationshintergrund " (siehe Stichwort). Das bedeutet: Schon jeder fünfte Rosenstädter hat heute ausländische Wurzeln.

Im Stadtrat hat sich diese Vielfalt allerdings lange nicht widergespiegelt. Dort gab es bislang nur ein einziges Mitglied, das zumindest nach dieser Definition Migrationshintergrund hat - Stéphane Moulin, der in Frankreich als Sohn eines Franzosen und einer Deutschen geboren wurde.

Im am 25. Mai neu gewählten Stadtrat bekommt Moulin deutlich mehr multikulturelle Gesellschaft: Mit Pervin Taze für die SPD und Ibrahim Al-Saffar für die Grünen ziehen erstmals Zweibrücker mit Nicht-EU-Migrationshintergrund in den Rat ein (siehe Zur Person). Dennoch liegt der Menschen-mit-Migrationshintergrund-Anteil im 40-köpfigen Stadtrat mit 7,5 Prozent weiterhin deutlich niedriger als in der Zweibrücker Bevölkerung (20,4 Prozent).

"Zweibrücken ist meine Heimatstadt, sie liegt mir sehr am Herzen. Deshalb will ich mich für die Entwicklung der Stadt einbringen", begründet Taze, warum sie für den Stadtrat kandidiert hat. Besonders wichtig sei ihr, die Stadt für junge Menschen und Familien noch attraktiver zu machen, "damit Menschen aller Nationen hier gut leben können". Migrationsthemen würden aber nicht Schwerpunkt ihrer Ratsarbeit: "Das ist durch den Migrationsbeirat gut abgedeckt. Wir wollen die Interessen aller Zweibrücker vertreten, unabhängig von ihrer Herkunft. Unsere Biographie kann ein Vorteil sein bei bestimmten Entscheidungen, sollte aber nicht im Vordergrund stehen."

Al-Saffar hat bereits zum zweiten Mal für den Rat kandidiert - diesmal aber dank besseren Listenplatzes und vieler Personenstimmen mit Erfolg. "Mein Ohr ist am Mund des Volkes", nennt der 47-Jährige als Motiv für sein kommunalpolitisches Engagement. Er rede und diskutiere gern und viel mit Bürgern, das von ihm übernommene "Cafe am Schloss" sei da ein großer Vorteil auch für den Kontakt mit älteren Zweibrückern ohne Migrationshintergrund .

Al-Saffar will sich dafür einsetzen, dass der Migrationsbeirat auch Vertreter in Ratsausschüsse schicken darf, "vor allem den Jugendhilfeausschuss, wo es um für Migranten so wichtige Themen wie Sprache oder Kindergärten geht".

War es ein Vor- oder Nachteil, als Kandidat mit Migrationshintergrund aufzufallen? "Ein Vorteil auf keinen Fall", antwortet Taze (30). "Selbst meinen Listenplatz hatte ich nicht deshalb, sondern weil ich Frau und jung bin." Ohnehin verstehe sie sich "nicht als Quoten-Migrantin der SPD ".

Vor allem in ihrer Jugend habe sie auch Diskriminierung gespürt, erzählt Taze auf Nachfrage. "Es war nie ein Vorteil, nichtdeutsche Wurzeln zu haben." Die Frage sei aber, wie man damit umgehe: "Ich sehe das auch als Chance. Man muss auch etwas Bereitschaft zeigen." Zudem habe sie auch positive Erfahrungen gemacht: "Ich bin auch durchaus gefördert worden."

Al-Saffar antwortet auf die Frage nach seinen persönlichen Integrations-Erfahrungen mit einem deutschen Sprichwort: "Wie es in den Wald ruft, schallt es zurück." Heute spüre er gar keine Diskriminierung : "1998, als ich nach Zweibrücken kam, hatte ich dieses Gefühl. Das lag aber daran, dass ich noch kein Deutsch konnte." Nicht alles, was diskriminierend ankomme, sei auch diskriminierend gemeint, habe er gelernt, sowohl im Umgang mit Beamten als auch mit Bürgern.

Taze und Al-Saffar sind sich einig: In Zweibrücken gibt es deutlich weniger Integrationsprobleme als in anderen Städten gibt. Dies liege zum einen an dem verglichen mit vielen Großstädten geringen Ausländeranteil, zum anderen habe die Stadtverwaltung auch immer ein offenes Ohr für Anliegen des Migrationsbeirates. Es gebe auch viele Integrationsangebote wie Sprachkurse. Taze lobt zudem, dass es "unheimlich viele engagierte Menschen in Zweibrücken gibt, oft im Hintergrund, die bereits sind zu helfen". Al-Saffar findet, zur Integration trage auch bei, dass man in Zweibrücken deutsch praktisch lernen müsse - anders als in Städten wie Ludwigshafen, wo man in Ausländer-Vierteln auch in seiner Heimatsprache arbeiten und einkaufen könne.

Außer Al-Saffar und Taze hatten die sieben Ratsparteien fast keine weiteren Kandidaten mit Migrationshintergrund auf ihren Listen, schon gar nicht auf halbwegs aussichtsreichen Plätzen. Was muss sich ändern, damit sich auch mehr Nicht-Urdeutsche politisch engagieren? "Wir sind der erste Schritt", hofft Al-Saffar, dass seine und Tazes kommunalpolitische Arbeit auch Anderen Mut machen wird, sich zu engagieren. Es sei aber verständlich, dass dies "nicht von 0 auf 100 geht - ich bin seit 15 Jahren hier und habe auch erfahren, dass Integration Schritt für Schritt geschieht."

Taze sieht auch die Parteien gefordert, sich mehr für Migranten zu öffnen: "Ohne den Konservativen auf die Schippe treten zu wollen: Das ist in der CDU langsam am Kommen." Eine Kritik an der CDU als den Konservativen oder eine Kritik an den Konservativen in allen Parteien? Das bleibt die einzige Frage, auf die Taze nicht antwortet.

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Zur PersonPervin Taze wurde 1983 in Zweibrücken geboren. Ihre Eltern stammen aus Ostanatolien (Türkei) und kamen in den siebziger Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland. 2005 erhielt Pervin Taze die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie arbeitet als Medizinisch-technische Assistentin am Evangelischen Krankenhaus. Seit 2009 ist sie im Zweibrücker Migrationsbeirat, seit 2010 SPD-Mitglied und seit 2011 Zweibrücker Juso-Vorsitzende. Ibrahim Al-Saffar wurde 1966 in der irakischen Hauptstadt Bagdad geboren und flüchtete 1998 nach Zweibrücken. 2007 wurde er als Deutscher eingebürgert. Seit 2004 ist er mit kurzer Unterbrechung im Migrationsbeirat. Der Gastronom führt das Zweibrücker "Cafe am Schloss". Er zieht für die Grünen in den Stadtrat ein, ist aber parteilos. lf

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Stichwort"Migrationshintergrund " wird unterschiedlich definiert. Laut Zensus 2011 sind Personen mit Migrationshintergrund "alle nach 1955 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach 1955 zugewanderten Elternteil". lf

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