Warum Juden am Rhein siedelten

Mainz · Es ist kein reiner Zufall, dass die Zentren jüdischer Gelehrsamkeit im Mittelalter am Rhein entstanden. Die „Schum-Städte“ Speyer, Worms und Mainz hatten eine besondere Nähe zum Wein. Das Institut für Geschichtliche Landeskunde lenkt mit einem Vortrag den Blick darauf.

 „Judentum ist ohne Wein nicht vorstellbar“, sagt der Judaistik-Professor Andreas Lehnardt und sieht darin einen Grund, warum sich Juden im Mittelalter ausgerechnet in Mainz, Speyer und Worms im großen Stil ansiedelten. Hier zeigt der Rabbiner Yitzchak Mendel Wagner Potugieser-Tauben, aus denen er in Ingelheim koscheren Wein herstellt.

„Judentum ist ohne Wein nicht vorstellbar“, sagt der Judaistik-Professor Andreas Lehnardt und sieht darin einen Grund, warum sich Juden im Mittelalter ausgerechnet in Mainz, Speyer und Worms im großen Stil ansiedelten. Hier zeigt der Rabbiner Yitzchak Mendel Wagner Potugieser-Tauben, aus denen er in Ingelheim koscheren Wein herstellt.

Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

Die Tradition der jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz steht nach Erkenntnissen des Forschers Andreas Lehnardt in enger Verbindung zur Weinkultur der Region. "Judentum ist ohne Wein nicht vorstellbar", sagte der Judaistik-Professor Andreas Lehnardt vor einem Vortrag des Instituts für Geschichtliche Landeskunde gestern in Mainz . "Deswegen findet man die Hauptzentren des Judentums in guten Weingegenden."

Zwar gebe es wohl keinen direkten kausalen Zusammenhang zwischen dem Weinanbau am Rhein und der Entstehung der Zentren jüdischer Gelehrsamkeit in den "Schum-Städten" - wie Speyer, Worms und Mainz nach den Anfangsbuchstaben der hebräischen Namen im Mittelalter genannt wurden. Aber die geografische Verbindung sei auch nicht nur reiner Zufall. "Es ist schon auffällig, dass Juden Wert darauf gelegt haben, dass Wein gut erreichbar ist", hat der an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz forschende Wissenschaftler festgestellt.

Als die Juden im 14. Jahrhundert aus dem Rheinland nach Polen und Litauen vertrieben wurden, war es für sie dort sehr viel schwieriger gewesen, Wein für den "Kiddusch" zu bekommen, den Segensspruch zu Beginn des Sabbats. Sie behalfen sich zum Teil mit Wein, der aus Rosinen hergestellt wurde.

Zwar waren Juden am Rhein bis ins 20. Jahrhundert hinein im Weinhandel tätig - das Verbot des Weinhandels mit Nichtjuden wurde schon im Mittelalter aufgehoben. Aber für den eigenen Weinkonsum müssen gläubige Juden bis heute genaue Vorschriften für koscheren, also für zum Verzehr geeigneten Wein beachten. Wein darf nicht von Nichtjuden hergestellt, gehandelt oder eingeschenkt werden - Hintergrund war die Sorge, dass solcher Wein auch als Götzenopfer dienen könnte.

Vor fünf Jahren hatte sich der Ingelheimer Bernhard Rolletter an der Herstellung von koscherem Wein versucht. "Aber der Aufwand stand in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag", erklärt der Winzer. Nichtjuden sollen bei der von Rabbinern überwachten Lese keinen Blick auf den Wein werfen. Erwärmungsanlage, Traubenpresse, Schläuche und Behälter, alles, was mit Trauben, Maische und Wein in Berührung kommt, muss nach besonderen Riten gereinigt werden.

In der jüdischen Gemeinde Worms belegt die Erwähnung einer Weinprobe im 17. Jahrhundert den hohen Stellenwert von Wein im Judentum . Dabei sei bislang zu wenig beachtet worden, dass es dafür nicht nur religiöse Gründe gab, sagt Lehnardt. So habe sich der Umgang mit Wein gar nicht so sehr von dem in der christlich geprägten Kultur unterschieden. Es gebe interessante Texte mit Einblicken in die Alltagspoesie wie Weinlieder, "die erkennen lassen, dass Juden nicht nur zu Purim, dem jüdischen Karneval, durchaus auch mal ein Gläschen mehr getrunken haben", findet der Forscher Andreas Lehnardt.

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