Vom Alkoholabhängigen zum Suchthelfer

Zweibrücken · Viele Jahre war Ludwig Sommer Alkoholiker. Erst nach einem Ultimatum seiner Frau schaffte er es mithilfe einer Selbsthilfegruppe, von der Sucht loszukommen. Mittlerweile hilft er selber Abhängigen.

 Ludwig Sommer mit dem Zertifikat, das ihm die erfolgreiche Ausbildung in der freiwilligen Suchthilfe bescheinigt. Foto: Nadine Lang

Ludwig Sommer mit dem Zertifikat, das ihm die erfolgreiche Ausbildung in der freiwilligen Suchthilfe bescheinigt. Foto: Nadine Lang

Foto: Nadine Lang

Ludwig Sommer war Alkoholiker , fast 30 Jahre lang. An den Tag, der schließlich alles veränderte, erinnerte er sich noch ganz genau. Heute ist er trocken und nicht nur das: Nach einer Weiterbildung zum Suchthelfer steht er seit elf Jahren anderen Menschen bei, die diesen Weg noch vor sich haben.

Wenn Ludwig Sommer an seine ersten Erfahrungen mit Alkohol denkt, fällt ihm seine Jugend ein. Mit 15 oder 16 Jahren war er zum ersten Mal betrunken, so schätzt der heute 64-jährige Rentner. An sich nicht unbedingt ungewöhnlich und doch weiß er "bei mir war es von Anfang an anders". Es schmeckte ihm nicht nur ausgesprochen gut, sondern "Ich habe immer viel vertragen", erzählt Ludwig Sommer - was in seinem Umfeld in jungen Jahren zu Bewunderung führte. Wenn andere längst betrunken unter dem Tisch lagen, war er selbst noch fit und genau diese Bewunderung wurde "am Ende zum Verhängnis", erzählt er. Die Freitagabende verbrachte er gerne in der Kneipe. Dort gab es nach 15 Bier ein Freibier. Ludwig Sommer ging nie unter drei Freibier nach Hause. Anfangs fühlte er sich sogar stark damit, trank hauptsächlich in Gesellschaft. Erst später setzte er es bewusst ein, um Unsicherheiten und Ängste zu überspielen, auch wenn er wusste, dass sie am anderen Tag wieder auftauchten. "Es ist ein schleichender Prozess, in den man immer tiefer hineingerät", erzählt Ludwig Sommer aufrichtig. Kein Wunder, dass er irgendwann begann, heimlich zu trinken, um den Konsum zu verschleiern - vor Anderen und ein Stück auch vor sich selbst. Aus Bier wurde Wodka: in Sprudelflaschen abgefüllt, im Teeservice versteckt, sodass er einfach im Vorbeigehen einen Schluck aus der Teekanne im Schrank nehmen konnte und in vielen anderen Verstecken. Ein Haus mit vier Stockwerken bot da allerhand Platz. Die Verstecke waren so gut, dass es tatsächlich nicht auffiel. "Ich war Spiegeltrinker, sodass ich funktionierte. Und so kann man es ziemlich gut vertuschen", berichtet er weiter. So schaffte er es auch, keinen einzigen Arbeitstag aufgrund des Alkohols zu fehlen. Um so ironischer ist es wohl, dass er viele Jahre später, nachdem er selbst trocken war, ausgerechnet von einem alkoholisierten Kollegen auf der Arbeit so schwer verletzt wurde, dass er seine Arbeit nicht mehr ausüben konnte. Doch um überhaupt trocken zu werden, war es ein langer und beschwerlicher Weg, zu dem auch das Eingestehen der eigenen Schwäche gehörte. Immer wieder entgiftete er sich selbst, war kurzzeitig trocken, bis die Sucht ihn wieder einholte. Jedes Mal ein Stückchen stärker. Der 23. Mai 1993 änderte schließlich alles. "Da bin ich zusammengeklappt", erinnert sich Ludwig Sommer ganz genau an den Vorfall im eigenen Zuhause. Zu diesem Zeitpunkt berührte er damit aber nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Frau und seiner kleinen Tochter. Seine Frau sprach ein Ultimatum aus. Entweder passiere etwas, oder er würde die Zukunft alleine bestreiten müssen. Zum ersten Mal erfasste er den Ernst der Lage. Noch am gleichen Abend ließ er sich ins Katholische Krankenhaus in Zweibrücken einweisen - mit 4,1 Promille. Der Entschluss für den völligen Entzug musste auch dort erst reifen. "Ich war zehn Tage im Krankenhaus. Da hatte ich viel Zeit, mir darüber Gedanken zu machen." Im Krankenhaus lernte er dann Paul Schmidt vom Blauen Kreuz, der Suchtkrankenhilfe der Diakonie, kennen. Der bot ihm an, die Selbsthilfegruppe in Zweibrücken zu besuchen. Nach dem Krankenhausaufenthalt war der körperliche Entzug bereits geschafft. Aber der psychische Entzug ist das Schwierigste. Er entschloss sich gegen eine Therapie, dafür fand er Kraft in der Selbsthilfegruppe. "Die Gruppe bei Paul war meine Therapie", sagt er heute. Dorthin schleppte er sich Woche um Woche, an seiner Seite stets seine Frau. Und dann gab es noch einen weiteren Gedanken, der ihm mehr Kraft als alles andere gab. "Wenn ich mir vorgestellt habe, was ich meiner Tochter damit antue", lässt er den Satz unvollendet und fährt fort, "zuerst habe ich es für sie gemacht. Später dann für mich." Und das Durchhalten hat sich gelohnt, denn der Alkohol ist aus seinem Leben verschwunden. Der Selbsthilfegruppe ist er aber treu geblieben. Im Jahr 2004 besuchte er sogar den Lehrgang zum Suchthelfer und gibt heute die Erfahrung weiter, die er selbst machen musste. "Ich weiß, wie es den Leuten geht und ihnen zumute ist." Wer könnte Menschen, die diesen Prozess noch vor sich haben, auch besser beraten, als einer, der es selbst geschafft hat?

Ludwig Sommer sagt heute:

"Mut ist, dazu zu stehen, dass man Alkoholiker ist und etwas dagegen zu unternehmen." Anderen Alkoholkranken rät er, "unbedingt in die Gruppe zu kommen. Denn wer will, der schafft es auch".

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