Vielstimmiges Echo des Horrors

Zweibrücken · Das Dritte Reich zerbricht, Amerikaner und Russen marschieren ein, die deutschen Städte werden zerbombt: Die Hörbuchfassung „Das Echolot – Der Krieg geht zu Ende“ dokumentiert dieses Geschehen von vor 70 Jahren anhand hunderter Nachlässe, vorgelesen von über 211 Sprechern. Das ist in erster Linie markerschütternd – und genau deshalb hörenswert.

 Auch das Zweibrücker Schloss lag vor 70 Jahren bei Kriegsende in Trümmern. Foto: pma

Auch das Zweibrücker Schloss lag vor 70 Jahren bei Kriegsende in Trümmern. Foto: pma

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Die runden Weltkriegs-Gedenktage reißen nicht ab: Gerade erst 2014 hat sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal gejährt, da steht nun schon das nächste historische Datum an: Der Zweite Weltkrieg endete für Europa an diesem Freitag, 8. Mai, vor genau 70 Jahren mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht . Wie die letzten Monate davor abgelaufen sind, rekonstruiert Walter Adler in "Echolot - Der Krieg geht zu Ende". Das Hörspiel, das BR, HR, SWR und NDR bereits 1995 produziert hatten, hat der Hörverlag jetzt zum 70. Gedenktag nochmals aufgelegt. In dem 536-Minuten-Werk greift Adler auf über 5000 Familiennachlässe zurück, die der deutsche Schriftsteller Walter Kempowski (1929 - 2007) in seinem bekannten "Echolot"-Archiv gesammelt hatte.

Dazu zählen Alltagsdokumente, Tagebucheinträge und Briefe von ganz normalen Bürgern aber auch Schriftstellern und Funktionsträgern, mit denen er chronologisch die Ereignisse ab dem 1. Januar 1945 darstellt. Für jeden Tag reiht er die zeitlich genau oder in etwa dort datierten Dokumente aneinander. Von emotionalen Briefen bis hin zu nüchternen Listen mit Geburten, Neuzugängen oder Abtransporten aus den Konzentrationslagern bis hin zu Briefen etwa von Himmler (der untersuchen lassen will, warum KZ-Häftlinge so selten an Krebs erkranken) oder Schreiben an Hitler oder dem täglichen Wohlbefindlichkeitsprotokoll von Hitlers Leibarzt Dr. Morell. Das ergibt ein Kaleidoskop an Geschehnissen, Eindrücken, Emotionen der entscheidenden Phase des zerfallenden Dritten Reiches. Kinder kommen zu Wort, die auf ihren Vater warten, aber auch junge, euphorische Volksstürmer, die gerne für jeden Erschossenen gelobt werden. Vor allem aber Erwachsene, Soldaten, die von der Front berichten, Personen, die über Hitler und die Nazis philosophieren, die vor den Bombenangriffen der Alliierten Schutz suchen, den heranrückenden und marodierenden Russen nicht in die Hände fallen wollen. Das ist markerschütternd, deprimierend, nichts für Zartbesaitete. Wenn etwa eine Frau berichtet, wie ihr Schiff bei der Flucht auf eine Mine läuft, kentert, und ihre Kinder, die sich an sie klammern, nach und nach ins Wasser rutschen und ertrinken. Selbst das Horrorende ihrer jüngsten Tochter, die von Eisschollen in zwei Teile geteilt wird, schildert die Frau. Eine andere schreibt eindringlich von einer "kreatürlichen Angst", die sie empfinde. Und ein Mann berichtet anschaulich von den Gräueln, die er im Bombenhagel in Dresden erlebte. Über 211 Sprecher sind im Einsatz, um die verschiedenen "Rollen" zu lesen. Teils sind es nur zwei, drei Sätze, die sie - schnell geschnitten - vortragen. Das macht das Zuhören zur Konzentrationssache und - obwohl das nett gestaltete Booklet alle Sprecher mit ihren Rollen auflistet - erschwert es, nachzuvollziehen, wer gerade Urheber der gesprochenen Unterlagen ist und wo die eingelesene Szene spielt. Immerhin hilft eine Chronologie der wichtigsten Kriegsereignisse in der Zeit im Booklet bei der Einordnung. Dort gibt auch ein Interview mit Walter Kempowski interessante Einblicke.

Unter den Sprechern sind zahlreiche bekannte wie Ben Becker , Gert Heidenreich , Achim Höppner, Ulrich Matthes, Ulrich Noethen, Imogen Kogge, Simon Jäger, Burghart Klaußner , Gregor Weber oder Christian Brückner. Alles in allem ein Werk, das gerade angesichts der schwindenden Zahl von Zeitzeugen, eine manifeste Mahnung darstellt, die man sich als Nachkriegsgeborener durchaus anhören sollte.

Das Echolot - Der Krieg geht zu Ende, Walter Kempowski /Walter Adler , Der Hörverlag, 536 Minuten, ISBN:978-3-8445-1725-5, 30 Euro.

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