Bildung U wie Ulli und F wie Fater?

ZWEIBRÜCKEN · Die Unterrichtsmethode „Schreiben nach Gehör“ scheidet die Geister. Was verbirgt sich hinter der Kontroverse?

 Immer mehr Bundesländer kehren ganz oder teilweise vom „Schreiben nach Gehör“ in Grundschulen ab.  Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Immer mehr Bundesländer kehren ganz oder teilweise vom „Schreiben nach Gehör“ in Grundschulen ab. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Foto: dpa/Daniel Reinhardt

Es klingt ein wenig, als habe sich die Büchse der Pandora geöffnet. „Keine Unterrichtsexperimente auf dem Rücken unserer Kleinsten“, fordern die rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsabgeordneten Christoph Gensch und Christof Reichert. Was die Christdemokraten so in Rage versetzt, ist die Unterrichtsmethode „Schreiben nach Gehör“, die sie in Rheinland-Pfalz abgeschafft sehen wollen. „Schreiben nach Gehör“ beschreibt den Schrifterwerb von Grundschülern mit Hilfe sogenannter Anlauttabellen.

Beim Bildungsministerium Rheinland Pfalz kann man die große Aufregung nicht nachvollziehen. „U wie Ulli – so habe ich das selbst noch in der Grundschule gelernt“, sagt Sabine Schmidt, die Pressesprecherin des Ministeriums. Die Methode stößt dort an ihre Grenzen, wo die Verbindung zwischen Anlaut und Buchstabe nicht offensichtlich ist: F wie Fater? So könnte der eine oder andere ABC-Schütze auf die falsche Fährte geraten. Gerade Migranten oder Kinder, die einen starken Dialekt sprechen, stehen vor Problemen, warnen Kritiker. Eine wasserdichte Rechtschreibung will „Schreiben nach Gehör“ aber auch gar nicht vermitteln. „Eine sinnvolle Verwendung findet die Methode beim Erlernen des Alphabets und beim freien Schreiben im Anfangsunterricht. Kinder können selbstständig Buchstaben und Wörter erlesen und erste kleine Texte verfassen“, erklärt Schmidt.

Gensch und Reichert sehen in der Methode dennoch die Wurzel für das schwache Abschneiden der Rheinland-Pfälzer beim IQB-Bildungstrend 2017. Der soll die Leistungen der Grundschüler in Deutsch und Mathematik abbilden. Gensch und Reichert urteilen in einer Pressemitteilung: „Nicht von ungefähr wurde in der jüngsten Bildungsstudie festgestellt, dass ein Viertel aller rheinland-pfälzischen Grundschüler nicht die Mindestanforderungen der Rechtschreibung erreicht.“ Schmidt entgegnet: „Dass schlechte Rechtschreibleistungen der Kinder am ‚Schreiben nach Gehör‘ liegen, ist durch keine empirische Untersuchung belegt. Die Behauptung taucht trotzdem immer wieder auf.“

In der Tat mutet es seltsam an, eine Lernmethode, die in den 1970er Jahren vom Schweizer Pädagogen Jürgen Reichen entwickelt wurde und seit den späten 80er Jahren in Deutschland gelehrt wird, als ein neumodisches Risiko hinzustellen, das die Schuld an der Rechtschreibmisere trägt. Zudem schnitten die Grundschüler im Land 2017 nicht signifikant schlechter ab als bei der vorigen Erhebung 2011. Und dass in Rheinland-Pfalz 23,4 Prozent der Pennäler den Mindeststandard nicht erreicht haben, hebt sich auch nicht wesentlich vom Bundesdurchschnitt ab (22,1 Prozent).

Dennoch sind Gensch und Reichert mit ihrer Kritik nicht allein.

In Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein steht die Methode auf dem Prüfstand. In Hamburg und Baden-Württemberg ist sie mittlerweile sogar verboten. Auch Sprachwissenschaftler sind sich uneins. „Lernen ist ein Prozess, der schrittweise erfolgt. Es ist sinnvoll, dass man Kindern zugesteht, dass sie zunächst mal Vorformen der Orthografie bilden“, sagt Hans Brügelmann. Wolfgang Steinig entgegnet: „Die Kinder müssen irgendwann umlernen. Das ist schwieriger als neu lernen.“ In Zweibrücken und im Kreis Südwestpfalz wird „Schreiben nach Gehör“ an nur acht Schulen überhaupt nicht gelehrt. In 27 Grundschulen kann die Methode angewendet werden. Angst haben, dass die Rechtschreibung an diesen Schulen nur eine untergeordnete Rolle spielt, müssen Eltern aber nicht. Schmidt versichert: „Der Unterricht orientiert sich nirgendwo an einer einzigen Methode, die exklusiv zum Einsatz kommt. ‚Schreiben nach Gehör‘ steht in keiner Konkurrenz zum Prinzip der Rechtschriftlichkeit, das über die gesamte Lernzeit in der Grundschule verfolgt wird.“ Schmidt ergänzt: „Verbindliches Lernziel für alle Schüler ist, dass sie am Ende ihrer Grundschullaufbahn sicher Deutsch sprechen, schreiben und lesen können.“

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