Susanne und Rainer Lilischkis 50 Gäste lauschten dem Klang des Nordlichts
Zweibrücken · Die elektromagnetische Energie lässt sich tatsächlich hören. Dies konnten mehr als 50 Gäste beim szenischen Livehörspiel „68 Grad Nord“ von Susanne und Rainer Lilischkis auf Einladung der Zweibrücker Stadtbücherei erleben. Ein faszinierendes Erlebnis.
„Der Himmel ist eine Antenne mit einer enormen Reichweite“, zitierte Susanne Lilischkis. Wer diese Aussage zu Beginn des szenischen Livehörspiels „68 Grad Nord“, das mehr als 50 Interessierte auf Einladung der Zweibrücker Stadtbücherei am Mittwochabend im Herzogsaal erlebten, nicht verstehen konnte, war am Ende, als die Autorin mit ihrer Wiederholung die Klammer schloss, um einzigartige Erfahrungen weiter.
Vor einem eisblau angestrahlten Hintergrund hatten sie sich klanglich in die Kälte des Polarkreises entführen lassen, um gemeinsam mit Wissenschaftlern des 18. und 19. Jahrhunderts der Frage nachzugehen: Wie entsteht Polarlicht? Und: Kann man es hören oder sogar selbst entstehen lassen?
Aus der historisch belegten Figur eines Wissenschaftlers, der mithilfe einer riesigen Maschine, die er auf einem Berggipfel am Polarkreis errichtete, um selbst Nordlicht zu erzeugen, entwickelten Susanne und Rainer Lilischkis die Person von Hans Helmström. Nach einer Einleitung, bei der zahlreiche Wissenschaftler mit ihren Erkenntnissen rund um das Polarlicht zu Wort kamen, schilderte Susanne Lilischkis in einer mit Klängen vollendeten Lesung dessen Forschungsgeschichte.
Die meisten Teilnehmer schlossen die Augen und ließen sich von ihrer klaren Stimme und den für unsere Ohren ungewohnten Geräuschen in die Eiseskälte und die Spannung des wissenschaftlichen Experiments tragen. Es pfiff, es zischte, es jaulte und heulte, mal lauter, mal leiser, mal harmonischer, mal aufwühlender. Naturgeräusche, die das wissenschaftlich interessierte Ehepaar während seiner eigenen Expedition an den Polarkreis mit selbstgebauter Antennen live aufgenommen hatte.
Mehrere Wochen verbrachte der Protagonist Hans Helmström in der eisigen Kälte der Polarnacht bei Temperaturen von unter minus 30 Grad auf einem Berggipfel in der Hoffnung, selbst ein Licht am Himmel zu erzeugen. In einer absolut windstillen, glasklaren Nacht nahm er dort auf dem Berggipfel eine lotrechte Lichtsäule mit einer gigantischen Aurora wahr, hörte sphärische Klänge, die er als deren Töne interpretierte. Während seine Assistenten am Fuße des Berges nur dunkle Nacht sahen und auch nichts hören konnten.
Sein Leben lang verfolgte ihn nach seiner Rückkehr dieses Erlebnis. Es mündete in der Frage, ob etwa die borstigen Grannen der Getreidehalme als Antennen dienen und Pflanzen die Geräusche der Umgebungs-Elektrizität wahrnehmen und wiedergeben können. So, wie der kleine Sender, mit dem Susanne Lilischkis an stummen, aufgestellten Transistor-Radios Töne erzeugte. „Wären unsere Ohren wie Antennen, könnten wir die Geräusche hören. Sie spielen sich bei ‚natural radio‘ in unserem Frequenzbereich ab und sind original und unverfälscht aufgenommen“, bestätigte Rainer Lilischkis, Laboringenieur für Mikro- und Nanotechnologie an der Hochschule Kaiserslautern, seinem überaus interessierten Publikum.
Zwei Jahre lang hatte Rainer Lilischkis als Stationsleiter der deutschen Arktis-Forschungsstation in Spitzbergen gewirkt. Der Amateurfunker lächelte: „Allerdings würden wir uns dann häufig die Antennen zuhalten, denn das Knistern, Pfeifen und Rauschen ist oft sehr laut.“
War etwa die faszinierte Gefühlswelt des Forschers Hans Helmström bei seinem visuellen wie auditiven Erlebnis rein fiktiv erfunden, haben Susanne und Rainer Lilischkis tatsächlich ausnahmslos alle Geräusche mittels ihrer Spezialantennen selbst aufgenommen! Bei ihrer Umfrage in dem kleinen, norwegischen Ort Kjerringoy auf dem 68. Breitengrad trafen sie nur auf einen einzigen Norweger, der angab, dass er das Nordlicht hören kann.
„Wie kommt man auf eine solche Idee, ein solches Projekt?“ Diese Frage stellte Anne Detzler, Leiterin der Stadtbücherei, wohl stellvertretend für viele. Die Faszination und Begeisterung hatte die beiden bei ihren Recherchen zu diesem höchst aufregenden Thema ergriffen, so dass schnell die Idee des Live-Hörspiels und damit auch der Forschungsreise nach Norwegen entstanden war. „Unsere Aufnahmen haben wir gleich am ersten Tag machen können“, berichtet Rainer Lilischkis. Bei Nieselregen am Nachmittag. Danach habe tagelang Ruhe geherrscht. Ein Erlebnis, das die spannungsvolle Erwartung und regelmäßige Enttäuschung von Hans Helmström nachempfinden ließ.
Und noch etwas war Susanne und Rainer Lilischkis gelungen: Sie hatten ihre Zuhörer weg von oftmals überhandnehmenden optischen Reizen unserer Zeit wieder ganz auf ihren Hörsinn fokussieren lassen. Und sie hatten mit ihrer Kombination aus Wissenschaft, Erzählung und Klang, der die Natur und deren elektromagnetische Schwingung hörbar macht, ihren Zuhörern Zugang zu einer vielen eher unbekannten Themen- und Erlebniswelt ermöglicht.