Um Bürgern noch Schlimmeres zu ersparen „Mit Faust in der Tasche“: Klare Stadtrats-Mehrheit für höhere Grundsteuer
Zweibrücken · Auch viele Ja-Sager im Stadtrat warfen dem Land Erpressung vor – warnten aber, ein Nein käme die Bürger noch viel teurer zu stehen. Die meisten Gegenstimmen gab es aus der CDU, die von Mafia-Methoden sprach.
Der Stadtrat hat etwas beschlossen, was eigentlich alle ablehnen: Der Grundsteuer B-Hebesatz (für bebaute Grundstücke steigt schon für dieses Jahr von 480 auf 552. Dennoch stand am Ende der langen Debatte eine große Mehrheit: 22 Ratsmitglieder stimmten mit Ja, 10 mit Nein (1 Enthaltung: Aaron Schmidt, Die Partei).
Mit vereinten Kräften hatten Oberbürgermeister Marold Wosnitza (SPD), Finanzdezernent Bürgermeister Christian Gauf (CDU) und Kämmereileiter Julian Dormann zuvor um Zustimmung geworben. Ebenfalls sehr widerwillig – aber die ADD (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier) verlange eine Verbesserung des Zweibrücker Haushalts 2023 um 2,4 Millionen Euro (wir berichteten) – und habe verdeutlicht, dass sie die Erhöhung des Grundsteuer-Hebsatzes auf den deutschen Durchschnittswert kreisfreier Städte erwartet.
Die drei Verwaltungsvertreter und alle Fraktionsredner wiederholten mit ähnlichen Worten das Argument, dass angesichts der hohen Belastungen der Bürger durch Inflation und unkalkulierbare Energiekosten 2023 der völlig falsche Zeitpunkt für die Steuererhöhung um immerhin 15 Prozent sei. Erst 2024 sei man dazu eigentlich bereit.
Aber vor allem Kämmerer Julian Dormann verdeutlichte plastisch, was Stadt und Bürgern alles droht, falls der Rat Nein sage. Ohne Haushaltsgenehmigung durch die ADD drohten „freiwilligen Leistungen“ wie Festhalle, Bücherei, Wirtschafts- und Vereinsförderung das Aus – vielleicht sogar Schwimmbädern oder Rosengarten. Selbst Straßen könnten nur noch erneuert werden, wenn sie bereits im Ausbauprogramm stehen. Am Ende der „Kaskadierung der Eskalation“ könne sogar der Stadtrat aufgelöst und die Stadt von außen geführt werden.
Bürgermeister Gauf sagte zudem, die vom Land zugesagte Entschuldung Zweibrückens um 125 Millionen Euro geriete in Gefahr, würde die Grundsteuer nicht erhöht. Die Teilnahme am Entschuldungsprogramm aber sei „für Zweibrücken von allergrößter Bedeutung“. Gauf erinnerte zudem daran, dass infolge der „vorläufigen Haushaltsführung“ schon jetzt Projekte wie die Spielplatz-Sanierung Mörsbach sich verzögert haben (wir berichteten).
Bei der CDU stimmten sechs Ratsmitglieder gegen und vier für die Steuererhöhung. Die Argumente der Verwaltung und der Ratsmehrheit seien gut nachvollziehbar, sagte CDU-Fraktionschef Pascal Dahler. Man wolle aber auch Zeichen setzen, dass man die Entscheidung für falsch halte. Laut Grundgesetz-Artikel 28 haben alle Gemeinden das Recht, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“. Weil Bund und Land aber vor allem beim Sozialen den Städten immer wieder Aufgaben aufbürden, ohne dies zu finanzieren, entstünden die Schulden. Deshalb sei man nun von der ADD und dem Land abhängig und müsse der Steuererhöhung zustimmen, wolle man die Entwicklung Zweibrückens nicht gefährden. Dahler spitzte seine Kritik zu: „Man wird erpresst von dem, der einem in die Notlage gebracht hat – das kennt man eigentlich nur aus Mafia-Filmen wie ,Der Pate‘. Das ist Erpressung!“
Auch SPD-Fraktionschef Stéphane Moulin kritisierte: „Innenministerium und ADD erhöhen den Druck, da will ich gar nicht drumherum reden“. Beide allerdings stünden auch unter Druck, nämlich durch den Landesrechnungshof. Nichtsdestotrotz sei es „enttäuschend“, dass nach der Grundsteuer-Erhöhung 2022 nun schon wieder erhöht werden müsse, und das obwohl (den Beitrag zum Entschuldungsfonds nicht eingerechnet, was die ADD beanstandet) erstmals seit Jahrzehnten Zweibrücken 2023 es infolge erheblicher Anstrengungen gelinge, einen Haushaltsüberschuss zu erzielen. „Klug ist es, die Gewerbesteuer nicht zu erhöhen“, sagte Moulin – das hatte die ADD zwar auch angeregt, stattdessen will die Stadt aber den gleichen Spareffekt durch das Verschieben einiger 2023 ohnehin nicht mehr realisierbarer Vorhaben erreichen. „Mit Bauchgrimmen“ stimmte die SPD (bis auf ein Nein von Thorsten Gries) letztlich der Grundsteuererhöhung zu, um die von Dormann skizzierten noch negativeren Folgen für die Bürger zu verhindern.
Grünen-Fraktionschef Norbert Pohlmann betonte, mit dem Haushalt 2023 sei die Stadt bereits „bis an die Grenze des Zumutbaren und vielleicht darüber hinaus gegangen, etwa mit der Hundesteuer-Erhöhung“. Pohlmann warnte zudem, Bürger und Firmen könnten „sehr sensibel auf die Grundsteuer-Erhöhung reagieren“. Pohlmann warnte aber auch: „Markige Worte helfen nicht.“ Und nannte ein Beispiel: „Sagen wir Nein, droht Sportvereinen die Insolvenz“, wenn die Stadt sie nicht mehr fördern könne. „Selbst das Stadtfest ist in Gefahr.“ Pohlmann schloss, man balle zwar „die Faust in der Tasche“, stimme aber zu, denn: „Jede Alternative würde die Zweibrücker noch höher belasten als die Grundsteuer-Erhöhung.“
Auch die Liberalen stimmten zu. FDP-Fraktionschef Ulrich Schüler: „Die Steuererhöhung jetzt ist besonders unpassend – aber die Folgen wären noch schlimmer.“ Es sei aber unmöglich, dass „in armen Kommunen die Bürger höher belastet werden, da muss man eine Lösung finden“.
Die FWG stimmte zwar ebenfalls mit Ja, aber auch „mit der Faust in der Tasche – weil die Folgen für Stadt und Bürger sonst noch schlimmer wären“, sagte FWG-Vizefraktionschef Udo Brünisholz. Er sprach wie Dahler von „Erpressung“ – und einer „Sauerei“ zum jetzigen Zeitpunkt, wo der Haushalt erstmals seit Jahrzehnten ausgeglichen sei. Brünisholz forderte, den Kommunen „eine auskömmliche Finanzaustattung zu gewähren, ohne uns zu zwingen, Bürger und Gewerbetreibende bis zum Letzten auszupressen“.
Die AfD stimmte mit Nein. AfD-Fraktionschef Harald Benoit sagte, die AfD halte für rechtlich nicht vertretbar, dass die ADD den Haushalt als nicht ausgeglichen ansehe, indem sie den Entschuldungsfonds-Beitrag einrechne. Zudem dürfe die ADD nicht den Bundesschnitt bei der Grundsteuer zum Maßstab machen, sondern den niedrigeren Landes-Wert. Richtig sei, dass Zweibrücken nicht auch noch die Gewerbesteuer erhöhe: „Dann wären die Unternehmen doppelt getroffen.“
Bürgernah-Fraktionschef Dirk Schneider sagte, er stimme mit Nein. Dahlers Wort „Mafia“ finde er aber unpassend, denn: „Das hat mit Mafia nichts zu tun – es ist das System, durch CDU, SPD, FDP seit Jahrzehnten verursacht, die systemische Unterfinanzierung.“
Oberbürgermeister Wosnitza dankte am Ende dem Rat für die Zustimmung: „Das ist auch für uns kein leichter Weg. Aber ich gehe davon aus, dass der Haushalt jetzt genehmigt wird.“
Das kostet die Steuererhöhung die Bürger: Ein durchschnittlicher Einfamilienhaus-Eigentümer zahlt laut Dormann jährlich 50 bis 100 Euro mehr. Allerdings schwanke dies sehr je nach Grundstück – die Spanne reiche von 20 Cent bis 120 000 (hundertzwantzigtausend) Euro Mehrbelastung. – Die Grundsteuer ist meist auf Mieter umlegbar.
Korrektur: Bürgermeister Gauf wies darauf hin, dass die Überschrift „Zweibrücker sollen landesweit höchste Grundsteuer zahlen“ im Merkur-Vorbericht irreführend war: Zwar ist der Grundsteuer-Hebesatz derzeit nirgendwo höher als wie nun beschlossen in Zweibrücken, wie die Stadt in einer Tabelle in den Sitzungsunterlagen deutlich gemacht hat – aber für die Grundsteuer-Berechnung spielt auch der (in Zweibrücken deutlich unterdurchschnitliche) Einheitswert eine Rolle. Zudem erklärte Gauf, es sei damit zu rechnen, dass auch andere Städte den Hebeseatz erhöhen.