„Erzähl uns Deine Geschichte“ „Ich dachte, sie sei tot“

Zweibrücken · Beim ersten Erzählnachmittag im MGH erzählte Rita Folz von ihren Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg.

 Rita Folz erzählte im Mehrgenerationenhaus von ihren Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg.

Rita Folz erzählte im Mehrgenerationenhaus von ihren Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg.

Foto: Werner Euskirchen

(cvw) Das kleine Mädchen lag in Rieschweiler auf der Chaiselonge und hörte im Radio erst dramatische Musik und dann den Satz: „Ab jetzt wird zurück geschossen!“ Die Dreijährige bekam Angst, genau so, wie ihre Mutter, die die Tochter in ihre Arme schloss. „Gemeinsam haben wir geweint, obwohl ich gar nicht wusste, warum.“

Mit dem Kriegsbeginn am 2. September 1939 begann Rita Folz in dem mit fast 30 Zuhörern ab dem mittleren Alter besetzten Mehrgenerationenhaus ihre Lebensgeschichte. Als Erste nahm die 85-jährige Zweibrückerin in der neuen Reihe „Erzähl uns Deine Geschichte“ Interessierte mit in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Aufrecht stehend, skizzierte sie aus der Sicht des älter werdenden Kindes ihre teilweise dramatischen Erlebnisse. Mit ihrer spürbaren Berührtheit gelang es ihr, ihr Publikum emotional zu berühren und fühlend in die Zeit dauernder Angst und Verunsicherung, zwischen Evakuierung und Fliegeralarm, andauernder Fliegerbedrohung, unzähligen Stunden im dunklen Bunker und die erste Begegnung mit den siegreichen Besatzungstruppen zu versetzen.

Gleich nach Kriegsbeginn wurde die gebürtige Rheinländerin nach Bad Neuenahr evakuiert. Die Türen aller Häuser mussten offen bleiben, damit die Soldaten dort Zugang hatten. Während es für die Pfälzer „ab in die Fremd“ ging, kehrte die Dreijährige für ein Jahr lang fast in ihre Heimat zurück. Unvergessen ist für die engagierte Zweibrückerin „Papas Bunker“ an der heutigen A8, in dem ihr Vater auf Grund seiner kriegswichtigen Tätigkeit bleiben musste. „Ich denke immer daran, wenn ich dort lang fahre“, erzählt Folz.

Sehr betroffen machte ihre Erzählung, wie sich die kleine Tochter am Rieschweiler Bahnhof an die Beine ihres Vaters klammerte, der in den Krieg eingezogen wurde. Sie empfand: „Man darf selber nichts entscheiden!“ Aus dem Haus in Nähe des Bahnhofs sah sie viele Schicksale, erlebte Waffen-, Gefangenen- und Verletztentransporte. Ständig flogen Flugzeuge über den Ort, eine Dauerbeschallung und eine permanente Bedrohung. „Seelische Gefahr“ nennt Rita Folz das Gefühl. Immer wieder musste die Neunjährige mit ihrem kleinen Bruder allein in den entfernten Bunker laufen, weil die Mutter im Haus bleiben und notfalls löschen wollte. Das Geräusch des Eisenbahngeschützes an der Bibermühle halle noch heute in ihren Ohren. Doch einmal klang es etwas anders. Als die Familie am nächsten Morgen die Haustür öffnete, sah sie nur wenige Schritte vom Haus entfernt, dass eine Granate die Tannen auf halber Höhe abgesägt hatte. Das Haus und die Familie blieben verschont.

Ihr größter Schreck war, als ihre Mutter vor deren Sprengung noch rasch über die Brücke lief, um etwas zu holen und der Nachbar mit der Aussage kam: „Die Frau ist gefallen!“ „Ich dachte, sie sei tot“, erklärte Rita Folz ihren Schreikrampf und die Angst. Der Sprachgebrauch für die Kriegsgefallenen war ihr von klein auf geläufig. Zum Glück war die Mutter jedoch tatsächlich lediglich gestürzt. „Stille, wenn man sie absolut erlebt, kann weh tun!“ beschrieb die Erzählerin, wie sie das plötzliche Ende der Kämpfe erlebte.

Angstbesessen war auch die erste Begegnung mit einem grinsenden Schwarzen, der den Kindern ein Bonbon schenken wollte. „Mein Bruder hat nur geweint“, erinnert sie sich, denn die Nazis hatten den Kindern eingetrichtert, dass die Bonbons vergiftet seien. Im Anschluss an den lebendigen, etwa einstündigen Vortrag, entstand ein lebhafter Austausch und es gab großes Lob für die Veranstaltung. Sarina Wolf war besonders beeindruckt von Rita Folz Schlussplädoyer: „Friede ist wichtig! Das Wort Frieden  solle man sich auf der Zunge zergehen lassen!“ und ihrer Anregung, dies bereits im Kleinen, mit dem Nachbarn, der Kollegin, in der Familie zu beherzigen.

Der nächste Erzählnachmittag „Erzähl uns Deine Geschichte“ im Mehrgenerationenhaus am Freitag, 11. September von 15 bis 17 Uhr beschäftigt sich mit Pfälzischer Mundart. Dazu werden kulinarische Spezialitäten aus der Pfalz angeboten. Infos im Mehrgenerationenhaus, persönlich oder unter Telefon (0 63 32) 56 61 30.

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