Prozess um tödliches Martyrium

Kaiserslautern · Nur fünf Jahre alt wurde das Mädchen Carrie aus Kaiserslautern. Ihre Mutter und zwei Bekannte sollen Schuld am Tod des Kindes sein, das in einem Wald verscharrt worden war. Nun hat der Prozess begonnen.

 Der angeklagten Mutter des fünfjährigen Mädchens werden im Gerichtsaal die Handschellen abgenommen. Foto: Uwe Anspach/dpa

Der angeklagten Mutter des fünfjährigen Mädchens werden im Gerichtsaal die Handschellen abgenommen. Foto: Uwe Anspach/dpa

Foto: Uwe Anspach/dpa

Wenn die Ausführungen des Oberstaatsanwalts stimmen, dann hat die kleine Carrie bei einem Paar in Kaiserslautern ein regelrechtes Martyrium durchlebt. Die Fünfjährige sei körperlich misshandelt und - nur mit Unterhose bekleidet - in eine dunkle Kammer gesperrt worden, sagt Oberstaatsanwalt Christian Schröder gestern vor dem Landgericht Kaiserslautern . "Aus Hunger aß sie Katzenkot."

Doch damit nicht genug. Als das Mädchen im Juni dieses Jahres bei einem Sturz in der Wohnung eine Hirnverletzung erleidet, sollen das Paar und die Mutter des Kindes keine Hilfe gerufen haben. Das Mädchen starb am selben Tag - aus Sicht der Staatsanwaltschaft bei rechtzeitigem Einschreiten ein vermeidbarer Tod. Seit gestern stehen die Erwachsenen deshalb wegen Mordes durch Unterlassen vor Gericht. Die 36-jährige Mutter - eine jugendlich wirkende Frau mit grün gefärbtem Zopf, rosa Kapuzenpulli unter dunkler Lederjacke - blickt bei Prozessbeginn schweigend zu Boden.

Es seien "schwierige Verhältnisse", in denen sich der Fall abgespielt habe, sagt Oberstaatsanwalt Schröder. Klar ist: Im Januar dieses Jahres hatte das angeklagte Paar Carries Vater, die Fünfjährige und zwei ihrer Geschwister aufgenommen. Einige Zeit später habe der Vater die Kinder ohne Absprache allein bei dem Paar gelassen und sich nicht mehr um sie gekümmert. Die Mutter, die insgesamt sechs Kinder hat, habe dann mit dem 31 Jahre alten Mann und dessen 25-jähriger Lebensgefährtin vereinbart, dass die Kinder bei dem Paar und dessen eigenem Kind bleiben - für 50 Euro im Monat.

"Im Zusammenleben kam es immer wieder zu Übergriffen", sagt Schröder. Sie seien von dem 31-Jährigen ausgegangen und hätten sich gegen die Fünfjährige gerichtet. Diese erlitt demnach Blutergüsse, litt Hunger und wurde auch in Sachen Körperpflege vernachlässigt.

Diese Vorgeschichte gab aus Sicht der Staatsanwaltschaft den Ausschlag dafür, dass die Erwachsenen nach dem folgenschweren Sturz des Mädchens am 20. Juni keinen Arzt riefen - und damit das Kind seinem tödlichen Schicksal überließen. Die drei hätten einen anderen Menschen getötet, um eine Straftat zu verdecken, sagt der Oberstaatsanwalt. "Die Angeklagten wollten vermeiden, dass die bisherige Vernachlässigung offenbar wird." In der Hauptverhandlung müsse nun geklärt werden, was am 20. Juni passiert und in welchem Zustand das Kind gewesen sei.

Der Angeklagte - ein eher zierlicher Mann mit schmalem Gesicht - will sich nach Einschätzung seines Anwalts am zweiten Prozesstag äußern. Ebenso seine Lebensgefährtin, eine kleine und pummlige Frau mit blondem Haar und roter Brille. Der Vater des toten Mädchens tritt im Prozess als Nebenkläger auf.

Zu den 29 Zeugen, die das Gericht außer den beiden Sachverständigen geladen hat, gehört auch eine Mitarbeiterin des Jugendamts. Die Behörde war nach Schröders Angaben wegen der schwierigen Umstände schon zuvor mit dem Fall befasst. Anhaltspunkte für strafrechtlich relevante Versäumnisse des Jugendamtes hätten sich nicht ergeben.

Die Behörde hatte sogar zur Aufdeckung des Todesfalles beigetragen. Nach früheren Angaben der Ermittler sollte die Polizei die Kinder einige Tage nach dem Unglück wegen des Verdachts der Kindesmisshandlung für die Behörde in Obhut nehmen. Die Fünfjährige war aber nicht in der Wohnung. Nach intensiver Befragung habe die Mutter vom Sturz und Tod des Kindes berichtet. Schließlich führte sie die Beamten selbst in einen Wald, wo das Kind vergraben worden war.

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Hintergrund Nicht nur aktives Handeln, sondern auch vorsätzliches Nichtstun kann einen Menschen zum Mörder machen. Dieses "Begehen durch Unterlassen" ist in Paragraf 13 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Für das Strafmaß ist es grundsätzlich unerheblich, ob der Mord aktiv oder durch Unterlassen begangen wird - allerdings sind mildere Strafen möglich. Auf "Mord durch Unterlassen" kann demnach eine lebenslange Freiheitsstrafe stehen. Laut Gesetz ist ein Mörder , wer aus bestimmten Motiven - darunter Mordlust oder zur Verdeckung einer Straftat - einen Menschen tötet. "Begehen durch Unterlassen" (§13 StGB) ist dabei nicht mit "Unterlassener Hilfeleistung" (§323c StGB) zu verwechseln. Paragraf 13 greift nur, wenn eine sogenannte Rechtspflicht zum Handeln besteht. Das ist unter anderem bei Eltern gegenüber ihren Kindern der Fall oder wenn der Angeklagte selbst daran schuld ist, dass das spätere Opfer in eine lebensgefährliche Situation gekommen ist. dpa

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