Pirmanns Erdrutsch-Sieg und die Nachwehen Spekulation über geringe WahlbeteiligungFrust und Lust des Wählers

Meinung · Zweibrücken. Der wichtigste Akt dauerte nur zwei Minuten: Der städtische Wahlausschuss unter Leitung von Bürgermeister Heinz Heller (SPD) machte das vorläufige Wahlergebnis gestern zum amtlichen: Verkündung im Rathaus, die Ausschussmitglieder unterschreiben und nun ist Kurt Pirmann offiziell ab 1. Juni 2012 neuer Zweibrücker Oberbürgermeister

 Das Bild der Zukunft: der künftige Amtschef Kurt Pirmann vor dem Zweibrücker Rathaus. Foto: voj

Das Bild der Zukunft: der künftige Amtschef Kurt Pirmann vor dem Zweibrücker Rathaus. Foto: voj

Zweibrücken. Der wichtigste Akt dauerte nur zwei Minuten: Der städtische Wahlausschuss unter Leitung von Bürgermeister Heinz Heller (SPD) machte das vorläufige Wahlergebnis gestern zum amtlichen: Verkündung im Rathaus, die Ausschussmitglieder unterschreiben und nun ist Kurt Pirmann offiziell ab 1. Juni 2012 neuer Zweibrücker Oberbürgermeister. Trotz Wahlfeier in der Wine-Bar war der Sieger gestern schon um fünf Uhr auf den Beinen. Der laute Zeitungs-Zuträger habe ihn geweckt. Doch auch als Zweibrücker OB will Pirmann früh aufstehen. "Es gibt bei mir nicht nur die Stadtratssitzungen, sondern vorgelagerte Informationsgespräche mit den Fraktionen, in denen ich Meinungen erfrage", verspricht der Dellfelder. Bei seinen drei Kernthemen - Energie, Entschuldung und Innenstadt - werde er bei Fraktionen und Haushaltsgestaltern um Zustimmung werben. In die Verwaltungsabläufe des Rathauses müsse er sich nicht einarbeiten, wohl aber in die laufenden Themen der Stadt. Pirmann: "Ich bin seit einigen Wochen bei Fraktionssitzungen dabei, auch oft im Stadtrat und den Ausschüssen." Herbert Schmidt, der Erste Beigeordnete der Verbandsgemeinde, werde sicher "die eine oder andere Last mehr tragen", damit Pirmann zeitlichen Spielraum bekommt. Zwei bis drei Monate werde Schmidt den Job auch übergangsweise im Sommer 2012 erledigen, bis ein Amtsnachfolger gewählt ist, über Kandidaten werde die SPD noch im September befinden. Für die Vorhaben auf der Truppacher Höhe versprach er, nicht "stadtzerstörend wirken" zu wollen. Eine Ansiedlung dort könne auch kleiner als 14 Hektar sein.Am Tag eins nach der Abstrafung wirkte OB Helmut Reichling gefasst und ernüchtert, seinen Humor hat er behalten. "Ich sitze schon den ganzen Tag am geöffneten Fenster, aber gesprungen bin ich nicht", sagte er augenzwinkernd in Anspielung auf ein Fernsehinterview, das er vor der Wahl gegeben hatte.

Auch im Falle einer Niederlage werde er nicht aus dem Fenster hüpfen, hatte er da versprochen. Ob der erste Eindruck aus dem Wahllokal richtig gewesen sei, dass ihn die Niederlage erleichtert hat? Reichling: "Die Anspannung ist weg. Das ist gut so. Jetzt kann ich mich wieder voll dem Tagesgeschäft widmen." Auch nachdem er eine Nacht über die desaströse Niederlage geschlafen habe, mache er sich keine Gedanken darüber, wie das Ergebnis zustande gekommen sei. Reichling: "Das interessiert mich vielleicht mit entsprechendem Abstand mal wissenschaftlich." Apropos Wissenschaft: In die Seminarräume und Hörsäle an der Amerikastraße wird Reichling ab Juni 2012 wieder zurückkehren.

Spätestens zum Wintersemester 2012/2013 wird er wieder lehren. Bis dahin gilt es etwa, Stellen neu zu besetzen wie die der Stadtmarketing-Leiterin, die vorher Annette Hübschen inne hatte. "Pirmanns und meine Ziele unterscheiden sich ja nicht. Wir werden den Haushalt abstimmen und dabei im Hinterkopf haben, dass es der von Kurt Pirmann ist", so Reichling. Seine wichtigsten Ziele in der Rest-Dienstzeit: der Ausbau des Flughafens, Ansiedlungen auf den Gewerbeflächen und in der Stadt. An der Stadtspitze steht er noch, wenn Heinz Heller gegen Jahresende als Bürgermeister abtritt (wir berichteten). Reichling glaubt, Rolf Franzen (CDU) folgt ihm nach, weil SPD und CDU wieder eine Große Koalition bilden. Franzen dementiert nicht: "Ich werde mir das überlegen und mich zu gegebener Zeit dazu äußern." Kurt Pirmann favorisiert eine Lösung, bei der sichergestellt ist, dass auch sein OB-Nachfolger der SPD angehört. Sprich: ein jüngerer Kandidat, der über acht Jahre aufgebaut wird. > Seite 17: Berichte

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Selbst die eindrucksvollsten Zahlen können ja so nüchtern sein. Mit 56,9 Prozent der Stimmen hat Kurt Pirmann für die SPD die OB-Wahl in Zweibrücken haushoch gewonnen. Setzt man dies allerdings in Relation zu den 38,6 Prozent der Wahlberechtigten, die am Sonntag ihre Stimme abgegeben haben, dann kann sich der künftige Verwaltungschef auf gerade mal rund 22 Prozent der Zweibrücker berufen. Eine Legitimation, die allerdings nur vordergründig auf wackligen Beinen steht, denn am Ende jedes Wahlergebnisses stehen die hundert Prozent unverbrüchlich. Das ist demokratisch unstrittig!

Und doch haben wir ein Problem, denn immer seltener gelingt es den Parteien, die Menschen zu den Urnen zu bringen. Sie also für ihre Kandidaten und ihr Tun zu begeistern. Und letzten Endes zu überzeugen, die sie selbst betreffende Politik über die Parteien aktiv mitzugestalten, so wie dies in unserem Grundgesetz im Artikel 21 festgehalten ist, der den Parteien die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes garantiert.

Offenbar hat das Volk aber keine Lust mehr darauf. Und die Parteien keine Antwort mehr. Weshalb man seitens der Politik gerne geneigt ist, dem Wähler den Schwarzen Peter zuzuschieben. Reicht das? Nein!

Wobei es an dieser Stelle nicht darum geht, den Nicht-Wähler in Schutz zu nehmen oder sein Fernbleiben am Wahltag gutzuheißen. Dies würde übrigens auch meinem ganz persönlichen demokratischen Verständnis widersprechen, das ich seit jeher so interpretiere, dass das Wahlrecht eher eine Wahlpflicht ist, der nachzukommen geboten und lohnenswert ist.

Aber es muss beim ganz speziellen Blick auf Zweibrücken erlaubt sein - eventuell auch bewusst überzeichnend - nachzufragen, ob denn die Wahlbeteiligung nicht zum Teil auch ein eher hausgemachtes Problem war. Ein Dilemma, das sich einfach aus dem Angebot der aufgebotenen Kandidaten, ihrem Auftreten beziehungsweise der Situation vor Ort speiste.

Kandidaten auf Augenhöhe, die Besten aus dem jeweiligen politischen Lager, damit kann man Wähler mobilisieren. Und in Zweibrücken? Außer Kurt Pirmann - so durfte der politisch interessierte Beobachter den Eindruck haben - wollte oder konnte keiner die Wahl gewinnen. Der Sozialdemokrat hat es verstanden, die Bedeutung und die Chance des Wahlsonntages zu transportieren. Folgerichtig hat er seine Wähler mobilisiert. Helmut Reichling, dem das aus dem Wunschdenken erwachsene Wählervotum des Jahres 2003 zur unschulterbaren Bürde geworden war, schon nicht (mehr).

Und die anderen Parteien? Haben die dem Wähler nicht frühzeitig zu verstehen gegeben, dass es Wichtigeres als die Wahl in Zweibrücken gibt?

Die Linke beispielsweise, deren Kandidat Robert Drumm in einer beispiellosen Rallye rhetorischer Fettnäpfchen und unfertiger Vorbereitung nicht einmal verhehlte, dass die Partei ihn ja im Prinzip geschickt habe.

Oder auch Evelyne Cleemann von der CDU, die offenbar nicht so laut und vernehmlich beziehungsweise schnell ihr Nein zur Hand hatte wie andere Parteigranden. Sie wurde parteiintern stark geredet, als andere sich längst sicher weggeduckt hatten. Dass sie nicht mal den Wahlabend in Zweibrücken verbracht hat, weil sie ihre unternehmerische Tätigkeit auf der Prioritätenliste weiter oben ansiedelte und bereits am Sonntag zu einem Montag-Termin in Hildesheim fuhr, wirft ein bezeichnendes Licht darauf, welche Bedeutung der Wahlsonntag hatte. Nämlich Nummer zwei in der Rangfolge.

Und die Grünen? Für die war die Wahl selbst in Zeiten bundes- und landespolitischer Höhenflüge kein Thema. Dabei wissen Wahlforscher, dass gerade diese Partei derzeit besonders viele Wähler in die Wahllokale zieht. Doch die Grünen haben frühzeitig abgewunken!

Und da wundern wir uns, wenn Wähler ähnlich denken? Vielleicht haben die doch ein feines Gespür!

Zweibrücken. Auch am Tag nach der Wahl sorgt die niedrige Beteiligung an der Oberbürgermeister-Wahl für Gesprächsstoff. 38,6 Prozent aller Wahlberechtigten gingen zur Urne, laut Statistischem Landesamt war es die geringste Beteiligung aller zwölf Oberbürgermeisterwahlen in Rheinland-Pfalz seit 2004. Selbst der strahlende Wahlsieger Kurt Pirmann (59,6 Prozent der abgegebenen Stimmen) wurde damit nur von rund 22 Prozent der Wahlberechtigten gewählt. Bernhard Matheis (CDU), Oberbürgermeister von Pirmasens zeigt sich wenig überrascht von der geringen Wahlbeteiligung: "Wenn es nichts Polarisierendes gibt, dann gehen einfach weniger Leute zur Wahl."

Mit Kurt Pirmann habe er schon öfter zusammengearbeitet, man sei sich "nicht in allem einig. Ein Beispiel ist die Truppacher Höhe", so Matheis. Dennoch bewerte er die Ausgangsposition als sehr gut.

Mario Facco, Chef der Werbegemeinschaft, vertritt die Ansicht, dass die Politiker selbst schuld seien an der geringen Wahlbeteiligung, weil sie oft viel versprächen und wenig hielten. Er hatte mit dem Wahlausgang gerechnet: "Die Menschen in Zweibrücken haben einen guten Politiker für Zweibrücken gewählt. Ich blicke positiv in die Zukunft."

Ex-OB und Ex-Sparkassenpräsident Hans Otto Streuber (SPD) hätte fast sogar die Prozentzahlen der einzelnen Kandidaten richtig getippt. Bei Reichling sei die Enttäuschung der Wähler zum Ausdruck gekommen, weil er viel angekündigt, "aber so gut wie nix gehalten" habe. Auch Streuber habe den Eindruck gehabt, dass andere Parteien die eigene Kandidatur nicht so recht ernst genommen hätten, außer Pirmann sei niemand präsent gewesen. In der geringen Wahlbeteiligung sieht Streuber den "Ausdruck der Ratlosigkeit im Lager der konservativen Wähler". Mit Pirmann würden nun andere Informations-, Diskussions-, und Führungskulturen Einzug halten, aus dem Rathaus gäbe es wieder "konkrete und fassbare Vorgaben". Bildung, Energie und Wirtschaftsförderung seien die vordringlichsten Themen. "Wenn er die auf die Reihe kriegt, ist das die halbe Miete", erklärt er weiter. Ob er selbst als Kümmerer für mehr Wirtschaftskompetenz in Pirmanns Mannschaft sorgen wird? Streuber: "Ich sage nicht, dass ich es bin, aber auch nicht, dass ich es nicht bin." Mit Kurt Pirmann habe er nicht geredet, doch "wenn man mich fragt, dann werde ich es mir überlegen".

UBZ-Geschäftsführer Werner Boßlet (SPD) schüttelte noch am Wahlabend den Kopf: "Was muss man noch machen, um die Wähler an die Urne zu bringen? Und dann wird das ganze Jahr gemeckert, was alles nicht läuft - keiner kann sagen, er hätte nicht die Wahl gehabt!" Jürgen Lambert (CDU), Reichlings Amtsvorgänger im OB-Amt, bewertete die Wahlbeteiligung als "Schönheitsfehler." Dass sie unter 40 Prozent gerutscht sei, sei "sehr bedauerlich". Pirmann sei ein sehr kompetenter Kollege, mit dem er bei der Flugplatzentwicklung sehr gut zusammengearbeitet habe. ek/lf/nrb

"Wenn man mich fragt, werde ich

es mir überlegen."

Hans Otto Streuber zu der Frage, ob er Kurt Pirmanns "Kümmerer" wird

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