Zweibrücker Richter mit NS-Vergangenheit? Aufarbeitung, Stufe zwei

Zweibrücken · Nach der Recherche zur Reichspogromnacht untersucht man am Oberlandesgericht Zweibrücken jetzt, inwiefern hohe Juristen in der Nachkriegszeit eine NS-Vergangenheit hatten. Zwei Personen hat man dabei schon ganz besonders im Visier.

 Auch Richter Mark Edrich ist am Oberlandesgericht gerade dabei, die NS-Vergangenheit von früheren OLG-Juristen aufzuarbeiten. Im Foyer des OLG stehen die „Roll-up“-Plakate mit den Ergebnissen zum ersten Schritt der Recherche. Da ging es um die Reichspogromnacht.

Auch Richter Mark Edrich ist am Oberlandesgericht gerade dabei, die NS-Vergangenheit von früheren OLG-Juristen aufzuarbeiten. Im Foyer des OLG stehen die „Roll-up“-Plakate mit den Ergebnissen zum ersten Schritt der Recherche. Da ging es um die Reichspogromnacht.

Foto: Eric Kolling

Waren Juristen mit Nazi-Vergangenheit auch in Zweibrücken nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches als Richter, Staatsanwälte oder gar Gerichtspräsidenten tätig? Das ist die spannende Frage, der das Zweibrücker Oberlandesgericht derzeit nachgeht. Hervorgegangen ist dieses Projekt aus der juristischen Aufarbeitung der Reichspogromnacht 1938, das kürzlich bei der gut besuchten Podiumsdiskussion präsentiert wurde. In der Rosenstadt war 1938 dabei die Synagoge in Brand gesetzt worden.

Vor allem OLG-Richter und -Gerichtssprecher Erik Kießling und der aus Zweibrücken stammende Richter Mark Edrich hatten für die Präsentation seit Jahresbeginn im Landesarchiv in Speyer Akten durchforstet, Fotos gesucht und Texte auf Roll-up-Wänden gestaltet, die für jedermann zugänglich im Foyer des Zweibrücker Schlosses stehen.

OLG-Präsident Bernhard Thurn erklärt, dass die Aufarbeitung der kritischen NS-Zeit im Zweibrücker Schloss immer mal wieder Thema war, auch wenn man kein Vorreiter sei: „Größere OLGs haben das teilweise recht ausführlich gemacht, es gibt auch Bücher dazu.“ In den frühen 50er Jahren habe sich an das Thema zunächst keiner herangewagt, auch zehn Jahre später sei man bei der Aufarbeitung an der Oberfläche geblieben. Thurn: „Das merkt man manchmal schon.“ Erst im Laufe der 70er Jahre nahm man sich in Deutschland des Themas intensiver an. Aufklärungsbedarf zeigte sich später in anderem Kontext: nach dem DDR-Ende bezüglich der Stasi-Tätigkeit etwa von Juristen und Politikern.

Unter Thurns Vorgängern Willi Kestel und Walter Dury sei etwa 2015 im Foyer eine Gedenktafel für im Nazireich verfolgte Juristen angebracht worden. Bereits vor 15 bis 20 Jahren habe man eine passende Ausstellung des Bundesjustizministeriums gezeigt. Neuerlicher Anlass, die NS-Zeit zu thematisieren, habe der nahende Jahrestag der Reichspogromnacht geboten. Da wurde ausgelotet, ob die Täter damals verfolgt und sie verurteilt wurden. Von vier Fällen endeten zwei noch vor dem 2. Weltkrieg mit Verfahrenseinstellung, einer nach dem Krieg 1951 mit Freispruch. Nur ein Mann wurde verurteilt. Das hatte das OLG vor drei Wochen präsentiert – mehr Akten gab das Landesarchiv in Speyer nicht her. Möglich, dass von den Nazis Unterlagen bewusst vernichtet oder sie durch die Luftangriffe zerstört wurden, schätzt Edrich.

Doch selbst, da man beim nächsten Aufklärungsschritt keine Prozessakten, sondern bestenfalls Personalakten als Grundlage hat, soll es nahtlos weitergehen. In den Fokus rückt etwa der Jurist Heinrich Welsch, der bis 1945 in hochrangigen Bereichen der NS-Justiz tätig war, von den Alliierten im Entnazifizierungsverfahren als „entlastet“ eingestuft und im Saarland 1955 Ministerpräsident wurde. Welsch war in Zweibrücken als Generalstaatsanwalt tätig. Ein Anlass, seine Vergangenheit genau unter die Lupe zu nehmen, so Edrich. Zumal die Saar-Uni Welsch diesen Sommer wegen seiner umstrittenen Vergangenheit die Ehrensenatorenwürde aberkannte. Historiker der Uni Trier hatten herausgefunden, dass Welsch 1934/35 die Gestapo in Trier geleitet hatte – auf Empfehlung von Hermann Göring.

Und dann wäre da auch noch der Karl Siegel, der genau zwischen 1933 und 1945 OLG-Präsident war. Alleine der Zeitraum, in dem er amtierte, gebietet einen genauen Blick.

Von solchen Prominenten abgesehen, will man am OLG auch Richter in den Blick nehmen, wenn diese sich nachweislich in den Dienst des NS-Regimes gestellt haben. Stößt man bei der Recherche also etwa auf einen Richter, der im Zweiten Weltkrieg NSDAP-Mitglied war und Karriere plötzlich gemacht hat, dann rückt er in den Fokus. Auch sind laut Edrich Juristen, die nach dem Zweiten Weltkrieg erneut eingestellt wurden relevanter als Berufsanfänger ab 1946. Noch sei nicht klar, wen man genau überprüfe, die Sichtung läuft. Ein längeres Aktenstudium steht an, auch Absprachen mit anderen Staatsanwaltschaften seien denkbar.

Die Arbeit gestalte sich auch deshalb als zäh, weil in der kleinen Verwaltung die Recherche nur neben dem Tagesgeschäft ablaufen kann, bedauert Thurn und ergänzt: „Wir wollen dran bleiben und kucken, was wir mit Bordmitteln noch hinkriegen. Und gerne würden wir das größer machen, aber da fehlen uns die Leute.“ Allerdings hat er Kontakt mit Michael Kißener aufgenommen, seit 2002 Professor für Zeitgeschichte an der Universität in Mainz. Mit ihm und erneut mit Walter Rummel, dem Chef des Landesarchivs Speyer, hofft er auf eine Zusammenarbeit bei der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts in der Justiz. Der Fall Wölbing – Ex-Zweibrücker Lehrer und VHS-Chef, der bei der Bücherverbrennung in Dortmund eine zentrale Rolle gespielt hatte – hat schließlich gezeigt, dass sich die Aufarbeitung lohne.

Wobei es unwahrscheinlich sei, dass Juristen mit möglicher NS-Vergangenheit von damals noch lebten. „Es geht da um Urteile von 1950/51, damals waren die Beteiligten ja mindestens 25 bis 30 Jahre alt“, schätzt Thurn, der es auch als schwierig erachtet, Bürger in die Recherche einzubinden: „Die Akten sind teilweise Verschlusssache. Bei allgemeinen Sachen kann man darüber nachdenken. Ich möchte sie gerne einbeziehen, wenn Ergebnisse vorlegen.“ Etwa in Podiumsdiskussionen wie bei der zur Pogromnacht: „Das war ganz prima.“

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