Nicht so reißerisch wie im Film

Zweibrücken · Sie sind juristische Laien, leisten vor Gericht aber einen wichtigen Beitrag zur Urteilsfindung: Allein 60 sogenannte Schöffen sind am Zweibrücker Landgericht tätig. Sie müssen etwa bei Tötungsdelikten mit Kindern emotionale Ausnahmezustände meistern.

 In welche Richtung neigt sich Justitias Waage? Auch Arne Rubel befindet darüber mit. Foto: David Ebener/dpa

In welche Richtung neigt sich Justitias Waage? Auch Arne Rubel befindet darüber mit. Foto: David Ebener/dpa

Foto: David Ebener/dpa

Sidney Lumets Klassiker "Die zwölf Geschworenen" gab 1957 Anschauungsunterricht, wie schwer es sich gestalten kann, vor Gericht zu einem Urteil zu kommen. Der Film ist zwar auch einer der Lieblingsstreifen des Zweibrückers Arne Rubel . Aber in Wirklichkeit laufe die Urteilsfindung "viel neutraler und sachlicher ab als im Film", sagt er.

Der 52-Jährige weiß, wovon er spricht. Er selbst ist seit 2014 auf fünf Jahre gewählter Schöffenrichter am Zweibrücker Landgericht, war in diesem Ehrenamt seitdem in sieben, acht Fällen dabei. Darunter auch in einem großen, über ein halbes Jahr laufenden Tötungsfall mit über 20 Prozesstagen.

Grundsätzlich plant auch Rubel mit zwölf Prozesstagen im Jahr, in der Regel dienstags. Fällt einer der Termine auf den Beginn einer neuen Hauptverhandlung, ist Rubel an allen folgenden Prozesstagen dabei, denn die Richterbank muss in ein und demselben Verfahren immer identisch besetzt sein.

Was muss er auf der Richterbank genau machen? Unvoreingenommen und unvorbereitet in die Sitzung gehen, schildert Rubel , sich ein Urteil aufgrund dessen bilden, was er sieht und hört. Entscheidend sei ja, dass er und seine Laienrichterkollegen keine juristische Ausbildung hätten, alleine der gesunde Menschenverstand zähle. Es komme darauf an, dass die Herleitung eines Verbrechens plausibel sei, die Story passe, Fakten sich lückenlos aneinanderreihten.

Als Leiter der Innenrevision bei einem Unternehmen im Saarland hat Rubel auch im Beruf ein Auge auf die Einhaltung von Regeln, Stimmigkeit von Abläufen und Sachverhaltsermittlung. Das komme ihm bei der Urteilsfindung zugute. Dennoch legten Berufs- und Laienrichter bisweilen andere Maßstäbe beim Strafmaß an als Richter, die die Gesetzesparagrafen im Hinterkopf hätten.

Im Sitzungszimmer erkläre der Vorsitzende Richter vorab, was verhandelt wird. Dann folgt das, was man auch aus Fernsehshows kenne: Zeugen werden vernommen, Unterlagen präsentiert, Plädoyers gehalten, ein Urteil gefunden. Bei kleinen Prozessen bespreche man sich meist schon nach wenigen Minuten. Bei ganz großen gebe es einen separaten Urteilsfindungstermin, der mehrere Stunden dauern könne.

Wichtig gerade bei langen Verhandlungen sei es, sich Notizen zu machen. Rubel : "Man kann sich nicht an alles erinnern." Akteneinsicht gebe es während der Verhandlung nicht. In Pausen könne man aber etwa Bilder, Protokolle oder Gutachten einsehen, die bereits als Beweismittel Verhandlungsgegenstand seien. Ein Schöffenrichter darf auch selbst Zeugen befragen. Rubel spricht solche Fragen aber in der Regel mit dem Vorsitzenden Richter ab. Erstens sollen so beeinflussende Suggestivfragen vermieden werden (im Stile von "Geben Sie endlich zu, dass Sie den Mord begangen haben"), außerdem solche, die für die Strafermessung irreführend oder im Verhandlungsprozess oder in Akten schon beantwortet worden seien. Der Vorsitzende Richter müsse aber erklären, warum etwa eine Frage nicht gestellt werden müsse. "Wenn ich von seiner Argumentation nicht vollständig überzeugt bin, muss die Frage gestellt werden", so Rubel .

Vor seinem ersten Fall habe er sich "wie in einer Prüfungssituation" gefühlt, aber "nicht ängstlich oder nervös". Als er an der Landgerichtspforte gestanden habe, sei ihm bewusst geworden: "Das ist nicht alltäglich." Nach zwei, drei Verhandlungen sei die Scheu gewichen.

Details von Prozessen darf der Schöffe nicht schildern. Klar ist aber: Gerade in Tötungsprozessen können Emotionen hochkochen. Etwa wenn Bilder von getöteten Kindern Beweismittel sind und die Schöffenrichter sich diese auch anschauen müssen, denn verweigern dürfe man das nicht. "Das kann einen emotional umhauen. Da reagiert jeder anders. Mancher sieht so etwas zum ersten Mal und ist emotional mehr gefordert als jemand, der sich darauf einstellen kann", sagt Rubel . Es gebe auch Berufsrichter, die dann sehr betroffen seien; Sitzungen könnten in solchen Momenten auch unterbrochen werden. Denn die Richter müssten der Verhandlung folgen können.

Mit seiner Verantwortung für das Schicksal der Angeklagten gehe er "angemessen und bewusst" um, sagt Rubel : "Ich hatte noch nie Gewissensbisse nach Urteilen. Wenn ich die hätte, müsste ich eingestehen: Ich kann das nicht weiter machen." Trotzdem stelle er sich auf den Prüfstand, handele nicht leichtfertig.

Repressalien von Angeklagten befürchtet Rubel nicht: "Ich kann mit dem Druck umgehen." Allerdings wolle er Drohungen gegen die erweitere Familie Vorschub leisten. Auch wenn beim Zweibrücker Landgericht kein solcher Fall bekannt ist.

Kaum ein Arbeitgeber dürfte begeistert reagieren, wenn einer seiner Angestellten wegen eines Schöffenamts regelmäßig ausfällt. Rubel skizziert: "Viele Unternehmen finden ehrenamtliches Engagement ihrer Mitarbeiter toll, haben aber ein Problem damit, wenn es daran geht, das auch mit Leben zu füllen." Er selbst arbeite eigenverantwortlich, könne sich die Arbeit also einteilen, ohne dass etwas lieben bleibt. An den vorgesehenen Sitzungstagen müsse er sich freinehmen, denn er wisse im Vorfeld nie, wie lange die Verhandlungen dauerten. Auch die Absprachen mit dem Zweibrücker Landgericht seien leider nicht immer perfekt, etwa, wenn sich Termine kurzfristig verschöben. Dann sei es nahezu unmöglich, berufliche Termine darauf anzupassen.

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Hintergrund: Aktuell sind am Zweibrücker Landgericht für die Strafkammern 44 Hauptschöffen und 16 Hilfsschöffen gewählt, für die Jugendkammer 20 Jugend- und 10 Hilfsjugendschöffen. Das Alter der Schöffen liegt nach gesetzlicher Vorgabe zwischen 26 und 70 Jahren. Alle fünf Jahre stellen die Gemeinden des Gerichtsbezirks eine Schöffenliste auf. Auf der stehen doppelt so viele Schöffen wie nötig; sie soll alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigen. Über die Auswahl der Schöffen und Hilfsschöffen befindet ein Wahlausschuss aus einem Richter am zuständigen Amtsgericht, einem von der Landesregierung zu bestimmenden Verwaltungsbeamten und sieben Vertrauenspersonen, die vom Gemeinderat aus Anwohnern des Gerichtsbezirks gewählt werden. Hilfsschöffen kommen zum Zug, wenn ein Hauptschöffe am ersten Verhandlungstag der Hauptverhandlung etwa gesundheitlich verhindert ist. Vor Jahresbeginn werden die Sitzungstage des Schöffengerichts festgelegt und aus der Schöffenliste Paare für die einzelnen Schöffengerichtstage von dem zuständigen Richter ausgelost. Damit steht fest, welche Paare mit den Berufsrichtern in den Hauptverhandlungen tätig werden, die an dem Tag beginnen, für die die Schöffen ausgelost sind. Bei den Landgerichtsfällen sind stets drei hauptamtliche Richter und zwei Schöffen dabei. Durch die ungerade Zahl kann es bei Abstimmungen keine Patt-Situation geben. Alle haben gleiches Stimmrecht, es gilt bei Beratungen das Mehrheitsprinzip. ek

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