Mord am Meer, Wurst in Moskau

Zweibrücken · Man sollte immer etwas Aufregendes zu lesen bei sich haben, meinte schon der Dichter Oscar Wilde, und reiste deswegen nie ohne sein Tagebuch. Nicht jeder mag so narzisstisch veranlagt sein wie der Ire. Ein gutes Buch bei sich zu haben aber ist bestimmt nicht verkehrt. Im Urlaub schon gar nicht. Darum hier ein paar Buchtipps für die schönsten Tage des Jahres.

Kurz nachdem das russische Atom-U-Boot "Kursk" in der Barentssee gesunken ist, tritt Sarah Kirsch ihre Englandreise an. Durch eine Woche "Real-TV" also, wie sie schreibt, "gut auf ne Seereise eingestimmt". Mit dem Zug nach Altona. Den Dampfer gerade so erreicht. "Druffgesprungen kann man fast sagen." Zusammen mit Sohn Moritz geht's ins Land von Agatha Christie und Rosamunde Pilcher . Oder mit Kirschs Worten: "Von Devon nach Cornwall, wo die Bäume immer mutiger wurden." Nun erscheint mit "Ænglisch" Sara Kirschs Reisetagebuch aus dem Jahr 2000, dem sie 2012, acht Monate vor ihrem Tod, die endgültige Gestalt gab. Sie berichtet nicht von spannenden Reiseerlebnissen, sie spricht einfach wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Das macht das Buch so lesenswert. In der Werkstatt von Barbara Hepworth sieht es aus als sei die Bildhauerin "nur schnell ein Fischbrötchen holen gegangen". Und bei der Weiterreise nach Devon laufen schon "uffm Bahnsteig" etliche Miss Marples herum. Der Stimme der immer optimistischen Sarah Kirsch kann man sich nur schwer entziehen.

Weiter in der Welt herum kommt der Schriftsteller Eugen Ruge . Vor dem Löwentor in Mykene erinnert er sich an seinen Neid auf Christa Wolf , die zu DDR-Zeiten schon reisen durfte und die antiken Ruinen in ihren Kassandra-Vorlesungen beschrieben hat. In Paris ist er enttäuscht, weil seine französische Verlegerin ihm nicht mal das Hotelzimmer zahlt. Und bei der Einreise nach Moskau hat er Angst vor dem Zoll, weil er zwei Dauerwürste im Gepäck hat, deren Einfuhr strengstens verboten ist. In "Annäherung" legt Ruge seine Notizen aus 14 Ländern vor. Alle entstanden zwischen 2005 und 2013. Der Band versammelt Reisen, die er rund um seinen Erfolgsroman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" gemacht hat. Private Reiseeindrücke und Reflexionen über die globalisierte Welt wechseln sich dabei ab. Erstaunlich, wie sehr der Wahlberliner es versteht, aus seinem Romandebüt Funken zu schlagen. Schon "Cabo De Gata" (2013) thematisierte die Entstehung von "In Zeiten des abnehmenden Lichtes". Trotzdem hat der Leser nie den Eindruck, hier wolle einer einen Goldesel melken. Ruge hat etwas zu erzählen. Seine Beobachtungen in fremden Ländern sind feinsinnig.

Wer es etwas leichter mag, dem seien zwei an der Ostsee spielende Inselkrimis empfohlen. Die Physiotherapeutin Mona Gluek wird tot am Schmachter See auf Rügen gefunden. Gefesselt und ein Bernsteinamulett im Mund liegt sie im Erlensumpf. Im Internet taucht ein Bekennervideo einer Organisation namens "Aktion aufrechter Russen" auf, die Lesben und Schwule jagt. Es zeigt, wie die Frau vergewaltigt wird. Als das Team um Kommissarin Romy Beccare und Jan Riechter zu ermitteln beginnt, stellt sich heraus, dass die Lebensgefährtin von Mona vermisst wird. Wurde auch sie Opfer eines Verbrechens? "Bernsteinmord" von Katharina Peters ist ein solide gemachter Krimi, der sich weder durch allzu stimmungsvolle Beschreibungen der Insel Rügen, noch durch ein sonderlich markantes Ermittler-Duo auszeichnet. Dafür nerven keine exaltierten Figuren mit privaten Problemen, wie in vielen anderen Kriminalromanen. Das etwas extravagante Tatmotiv lässt Peters durch ungekünsteltes Erzählen ganz schlüssig erscheinen, so dass man es ihr abnimmt. Auch, wenn es des ein oder anderen Zufalls bedarf, um das Ermittler-Paar Romy und Jan auf die richtige Spur zu bringen.

Auch auf der Insel Hiddensee gibt es Tote. Die bekannte Schriftstellerin Dorinda Schwarz eröffnet das dortige Literaturfestival und es ist ein offenes Geheimnis, dass sie auch zur ersten Inselschreiberin gekürt werden soll. Doch nach ihrer Lesung verschwindet sie und wird später tot aufgefunden. Wie aufgebahrt liegt sie unter einer Kiefer in der Nähe des Leuchtturmes: die Hände gefaltet, im Mund einen Zettel mit einem Gedicht. Alles deutet darauf hin, dass der Mord inszeniert wurde, ähnlich wie in einem der Krimis von Dorinda. Mit "Mord auf dem Dornbusch" legt Lena Johannson den zweiten Hiddensee-Krimi um ihre Ermittlerin Conny Lorenz vor. Die Insel eignet sich, so überschaubar sie ist, gut als Schauplatz für ein Verbrechen, und Lena Johannson versteht es auch, Hiddensee gebührend in Szene zu setzen. Ein Inselkrimi wie er sein soll: mit zwei Toten, authentischen Schauplätzen und Meer. Da kann der Urlaub kommen.

Lena Johannson: Mord auf dem Dornbusch. Aufbau,

320 Seiten, 8,99 Euro.

Sarah Kirsch : Ænglisch. Prosa. DVA, 88 Seiten, 19,99 Euro.

Katharina Peters: Bernsteinmord. Ein Rügen-Krimi. Aufbau, 336 Seiten, 9,99 Euro.

Eugen Ruge : Annäherung. Notizen aus 14 Ländern. Rowohlt, 192 Seiten, 19,95 Euro.

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