Mutter angeklagt „Verletzungen deuten sehr stark auf Misshandlungen hin“

Zweibrücken · Prozess vor dem Landgericht: Der Gutachter hält zufällige Verletzungen für sehr unwahrscheinlich.

 Jahrelang soll die Angeklagte mit ihrem Mann ihre Kinder gequält haben.

Jahrelang soll die Angeklagte mit ihrem Mann ihre Kinder gequält haben.

Foto: Rainer Ulm

„Die vorgetragene Entstehungsgeschichte passt nicht zu den Verletzungen.“ Zu dieser Einschätzung ist am Montag im Landgericht Zweibrücken Dr. Peter Leis gelangt. Der Facharzt für Rechtsmedizin und Geschäftsführer der FD-Forensische Dienste GmbH war von der Zweiten Große Strafkammer beauftragt worden, die vielen Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte der Kinder einer inzwischen 60-jährigen Frau zu analysieren. Ihr wird seit April nach einer teilweise erfolgreichen Revision zum zweiten Mal der Prozess gemacht, weil sie ihre Kinder gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann jahrzehntelang gequält haben soll.

Der Rechtsmediziner kam am Montag nach der Auswertung unzähliger Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte der Kinder zu dem Schluss: „Die meisten Verletzungen deuten sehr stark auf Misshandlungen hin.“ Zumal die Angaben der Eltern, sie wären eine Folge von Unfällen im Haushalt, beim Spielen oder beim Sport gewesen, nicht plausibel seien. So sei es „unerklärlich“, sagte der Forensiker, weshalb seinerzeit beispielsweise neben einer – angeblich durch einen Treppensturz verursachten – Gehirnerschütterung keine weiteren, für solcherart Unfälle typischen Verletzungen gefunden wurden: Prellungen, blaue Flecke, Knochenbrüche oder Abschürfungen. Auch die Anzahl der meist immer gleichen Blessuren spreche eher für eine bewusste und wiederholte Gewalteinwirkung „durch Dritte“. So könnten einem Kind „vielleicht einmal in seinem normalen Leben“ durch irgendein Missgeschick schon mal die Schneidezähne abbrechen, aber doch nicht drei, vier Mal hintereinander in einem relativ kurzen Zeitraum, wie in dieser Familie geschehen. Das sei sehr „unwahrscheinlich“.

Staatsanwalt Martin Kiefer hatte der zum Prozessauftakt noch 59-jährigen Frau zur Last gelegt, mehrere ihrer sechs Kinder (drei Mädchen und drei Jungen) im Zeitraum 1989 bis 2011 gemeinsam mit ihrem im Jahr 2018 verstorbenen Ehemann misshandelt zu haben, und ihr gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Laut Anklage soll die gebürtige Pirmasenserin zumindest davon Kenntnis gehabt und zugelassen haben, dass ihr Ehemann die Kinder oft verprügelte, meist mit Stöcken, Knüppeln, Handfegern und Baseballschlägern. Zudem muss sich die Angeklagte wegen Betrugs verantworten. Denn sie soll – ebenfalls gemeinsam mit ihrem Ehemann – zwei ihrer Töchter veranlasst haben, sich gegenüber Gutachtern des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Rheinland-Pfalz wie schwer behinderte Kinder zu verhalten und Windeln zu tragen, um das Pflegegeld kassieren zu können. Durch die unberechtigten Bezüge, mit denen das arbeitslose Ehepaar seinen Lebensunterhalt bestritten hatte, soll der Krankenkasse ein Schaden von insgesamt 50 000 Euro entstanden sein. Die Frau hatte nach eigenen Angaben bereits mit 16 Jahren ihr erstes Kind bekommen und dann mit ihrer immer größer werdenden Familie zunächst in Frankreich, dann in Zweibrücken und schließlich in Bruchweiler-Bärenbach im Landkreis Südwestpfalz gelebt.

Die Frau soll dem ältesten ihrer Söhne – heute 38 Jahre alt – ein Küchenbrett vor die Stirn gehalten haben, um es ihrem Mann zu ermöglichen, dem Kind mit einem Fleischhammer gegen die Stirn zu schlagen. So sollten verräterische Abdrücke verhindert werden, um die Gehirnerschütterung, die der Junge davontragen sollte, als Folge eines „Unfalls“ darstellen zu können. Der perfide Anlass: Das Ehepaar wollte das Krankentagegeld einstreichen, das die Versicherung vereinbarungsgemäß bei einer stationären Behandlung des Sprösslings zahlt. Und tatsächlich musste der Junge drei Monate ins Krankenhaus. Damit nicht genug: Die Eltern sollen ihn angehalten haben, dort nichts zu essen und zu trinken, um den Klinikaufenthalt möglichst noch zu verlängern, wie der Sohn einem Gutachter erzählt hatte.

Die Verhandlung wird am kommenden Montag, 9.30 Uhr, fortgesetzt.

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