Luther in der Bipontina

Zweibrücken · Meist denkt, wer „Martin Luther“ hört, an seinen Thesenanschlag im sächsischen Wittenberg. Welche enorme Bedeutung die Pfalz jedoch für Luther und seine Reformation hatte, zeigt die Jubiläumsausstellung „Neuer Himmel. Neue Erde“, die noch bis Mitte Mai im Stadtmuseum zu sehen ist. In sechs thematisch gegliederten Räumen zeigt sie neben der Person Luthers und seiner Weggefährten vor allem die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen sowie die bedeutende Rolle, die besonders auch Zweibrücken hierbei spielte. In einer Serie zur Ausstellung erklärt der Pfälzische Merkur die spannenden Zusammenhänge.

 Die Schlosskirche in Wittenberg. Foto: Schmidt/dpa

Die Schlosskirche in Wittenberg. Foto: Schmidt/dpa

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Ein in Leder gebundener Sammelband mit mehreren Drucken des Schriftstellers Lucian aus der Bibliotheca Bipontina zählt zu den Lieblingsexponaten von Kuratorin Charlotte Glück in der Ausstellung "Neuer Himmel. Neue Erde." Sie erklärt den Grund: "In diesem Klassiker sind mittendrin die 95 Thesen von Martin Luther eingebunden." Wurden sie etwa hier geschützt und verborgen? Bewusst versteckt, um gefahrlos überbracht zu werden? Wurde ihr Besitz getarnt, weil der Besitzer des Buches mit dem reformatischen, anti-katholischen Gedankengut nicht in Verbindung gebracht werden wollte? So viele Fragen, so viele Mutmaßungen und so weiter Raum für Phantasien über die wissenschaftlich belegbare Historie hinaus.

Wir erinnern uns: Am 31. Oktober des Jahres 1517 prangerte der Augustinermönch Dr. Martin Luther , seit 1512 Professor der Theologie an der Universität im sächsischen Wittenberg, in einem Brief an Erzbischof Albrecht von Mainz den Ablasshandel an. Diesem Schreiben legte er eine Aufstellung von 95 Thesen bei, die als Grundlage für eine Disputation, ein wissenschaftliches Streitgespräch, über dieses Thema dienen sollten. Martin Luthers zentrale Forderung: eine grundlegende Reformation der gesamten Kirche an "Haupt und Gliedern". Vielfach wurde bestätigt, dass es keinesfalls Luthers bestreben war, die Kirche zu spalten, wie später geschehen. Luthers Theologie fußt auf den vier Grundgedanken, den so genannten "soli" - von lateinisch "solus", das bedeutet "allein": Solus Christus - allein Jesus Christus als Heilsvermittler. Durch sein Leben und Tod befreit er die Menschen von ihrer Schuld, ohne dass es der Fürsprache von Maria oder der Heiligen bedarf. Durch ihre Traufe gewinnen alle Menschen einen priesterlichen Rang. Es entsteht eine "Laienkirche" ohne Hierarchie, in der die geweihte Priesterschaft ihren privilegierten Rang einbüßt. Sola Gratia - allein durch Gottes Gnade erlangt der Gläubige das ewige Leben. Daher ist unmöglich, sich durch die Beichte oder den Kauf von Ablassbriefen von Sünden "freizukaufen". Sola Sciptura - allein die Heilige Schrift als Wort Gottes ist die Grundlage christlichen Glaubens. Kirchliche Traditionen und Überlieferungen sind von Menschen gemacht und können irren. Sola Fide - allein durch seinen Glauben wird der Mensch gerettet. Dieses Geschenk darf er voller Vertrauen annehmen und braucht es nicht durch gute Werke zu verdienen.

Der Augustinermönch war bestrebt, seine Sicht der Dinge durchzusetzen. "Heute sieht es die Mehrheit der Forscher als erwiesen an, dass Luther an diesem besagten Tage seine Thesen nicht mit dem Hammer an die Schlosskirche von Wittenberg nagelte", informiert die Historikerin. Jeder Nagel wäre wohl an den massiven Eisenpforten gescheitert. Als anschauliche Metapher habe sich dieses Bild jedoch bis heute erhalten: die lauten, weit hallenden Schläge, die für Aufmerksamkeit sorgten und öffentliche Darstellung seiner Ansichten. Fest steht allerdings, dass die 95 Thesen bereits vor dem 31. Oktober 1517, der heute als Beginn der Reformation gefeiert wird, von Luthers Gesinnungsgenossen in Umlauf gebracht und in der Gelehrtenwelt diskutiert worden war.

Sigrid Hubert-Reichling, Standortvertreterin der Bibliotheca Bipontina, findet die Theorie der "versteckten" Thesen selbst sehr spannend, kann jedoch auch einen ganz praktischen Grund liefern. Beim Zusammenfassen mehrerer Einzeldrucke seien die Thesen inmitten von Schriften des griechisch-sprachigen Satirikers Lucianus Samosatensis (120 bis 180 n. Ch.) mitgebunden worden. Übersetzer der antiken Werke theologiekritischer Ausrichtung war der Straßburger Humanist und Theologe Otmar Nachtgall, Zeitgenosse Martin Luthers, der sich jedoch nie der Reformation anschloss. "Luthers Thesen passen nicht nur alphabetisch sondern auch inhaltlich durchaus in den Zusammenhang der übrigen Drucke", betont die Oberbibliotheksrätin. Dass auf Luthers Thesen noch ein weiterer Lucian-Druck folgt, könnte ein Versehen des Buchbinders sein, der schlicht die alphabetische Reihenfolge der Einzelwerke in dem individuell konzipierten Sammelband vertauscht hat. Unbekannt ist, wie das Buch in die Sammlung der Bibliotheca Bipontina kam. "Weil es keinen Besitzeintrag trägt, ist lediglich definitiv gesichert, dass es auf keinen Fall aus dem Gründungsbestand des Pfalzgrafen Karl I. stammt, dessen Schriften in einem Nachlasskatalog nachgewiesen sind", betont Sigrid Hubert-Reichling. Alles Weitere seien Hypothesen. Und so darf über die möglichen Zusammenhänge weiter spekuliert werden.

 Bipontina-Chefin Sigrid Hubert-Reichling und Museumsleiterin Charlotte Glück mit dem Lucian-Sammelband. Foto: cvw

Bipontina-Chefin Sigrid Hubert-Reichling und Museumsleiterin Charlotte Glück mit dem Lucian-Sammelband. Foto: cvw

Foto: cvw

Die Ausstellung "Neuer Himmel. Neue Erde. Die Reformation in der Pfalz." ist zu sehen bis 14. Mai 2017. Jeden Mittwoch um 15 Uhr wird eine offene Führung angeboten. Außerdem Gruppenführungen nach Voranmeldung zu vereinbarten Terminen. Stadtmuseum Zweibrücken im Petrihaus, Herzogstraße 9, 66482 Zweibrücken , Telefon (0 63 32) 87 13 80, www.zweibruecken.de/museum .

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