Lieber Ohnemichel!

Eigentlich gibt es dich schon lange nicht mehr: In den 50er Jahren nannte man die linken Gegner der Wiederbewaffnung in unserem Land so: Ohnemichel. Die Adenauer-Regierung hat damit in Zeitungsannoncen den Pazifismus diffamiert, der die Lehren aus dem schrecklichen Krieg ziehen wollte

Eigentlich gibt es dich schon lange nicht mehr: In den 50er Jahren nannte man die linken Gegner der Wiederbewaffnung in unserem Land so: Ohnemichel. Die Adenauer-Regierung hat damit in Zeitungsannoncen den Pazifismus diffamiert, der die Lehren aus dem schrecklichen Krieg ziehen wollte. Nochmals hundert Jahre früher hat ausgerechnet Heinrich Heine den Namen erfunden: Er verhöhnte damit den braven, konfliktscheuen Bürger, der sich der 1848er Revolution verweigerte: "Derweil der Michel geduldig begann zu schlafen, und wieder erwachte unter dem Hut von vierunddreißig Monarchen." Ja, ausgerechnet Heine, der von Paris aus die Zweibrücker Demokraten zwar mit starken Worten unterstützte, dann jedoch selbst dem Hambacher Fest fernblieb. Nun bist du also wiederauferstanden, lieber Ohnemichel, oder besser gesagt: hinterm Ofen sitzen geblieben. Die Presbyterwahl in Zweibrücken-Mitte ist der Beweis: Keine zehn Prozent fanden es die Mühe wert, die protestantische Kirchengemeinde demokratisch zu unterstützen. Das liegt im Trend, der allerdings auch ein anderes Gesicht hat. Wir Zweibrücker haben es gerade in den vergangenen Monaten bitter miterlebt, welche Risiken das politische Engagement am Hindukusch und sonst wo in der Ferne hat; ohne uns, sagen wir deshalb all zu rasch. Es ist eben eine Gradwanderung: Hier die dumme Passivität, dort der begründete Boykott. Und jeder Ohnemichel kann es sich aussuchen: Leistet er Widerstand oder ist er nur zu bequem; wenn er etwa der traditionellen Weihnachtsessen der Zweibrücker Stadtverwaltung fern bleibt. Der Archivar

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