Lichte Höhen

Zweibrücken · Reinhold Messner hat es vorgemacht: Ohne Sauerstoffgerät bestieg er am 20. August 1980 den höchsten Berg der Welt, den Mount Everest. Grund genug für den Merkur, zum 35. Jahrestag dieser Besteigung einmal dem höchsten Punkt von Zweibrücken nachzusteigen.

 Fernblick vom Gipfel. Fotos: Jan Althoff

Fernblick vom Gipfel. Fotos: Jan Althoff

Schon Albert Einstein (der mit der Zunge) wusste: Alles ist relativ. Das gilt auch für die Höhe von Geländeformen, die sich über die Umgebung erheben (so erklärt das Online-Lexikon Wikipedia den Begriff "Berg"). Um im per se hoch gelegenen Himalaya aus der Masse der Gipfel herauszuragen, braucht es schon einen Mount Everest mit seinen 8848 Metern. Und zur Bezwingung einen Südtiroler mit ulkigem Akzent und exorbitantem Bartwuchs. In unserer Mittelgebirgsregion tun es absolut gesehen ein paar 100 Meter. Über Top oder Flop entscheiden sogar weniger als fünf Meter.

Weiterer Unterschied: Während jedes Kind den Mount Everest kennt, sieht es mit der höchsten Erhebung Zweibrückens ganz anders aus. (Niedrigster Punkt ist übrigens laut Kultur- und Verkehrsamt der Hallplatz. Damit das auch mal geklärt ist.)

Wie viele Zweibrücker können auf Anhieb den höchsten Punkt der Stadt, quasi unseren Mount Everest, benennen? Allzu viele dürften es nicht sein - die ortsansässigen Kollegen liegen mit ihren Tipps allesamt falsch. Wer, inspiriert von Psalm 121, aus der Stadtmitte seine Augen auf zu den Bergen hebt, wird den Titel womöglich dem Galgenberg zusprechen. Der ragt so prominent über das Zweibrücker Tal hinaus - und bietet von oben auch noch einen tollen Blick auf die Stadt. Der höchste Punkt laut dem staatlichen Kartendienst geoportal.rlp.de: 335,8 Meter.

Wer schon einmal in Wattweiler war, weiß, dass nicht das höchste der Gefühle sein kann. Denn dort ist an der Wattweiler Höhe zu lesen, dass man sich 351 Meter über Normal-Null befindet (die Geoportal-Karte ist großzügiger und notiert als Höhe 352 Meter). Immerhin mal eine klare Ansage. Daran könnten sich die anderen geografischen Höhepunkte der Rosenstadt mal ein Beispiel nehmen. Wahrscheinlich auch der idyllisch südlich der Mülldeponie Rechenbach gelegene Himmelsberg (erreicht schwindelerregende 370,3 Meter). Nachgesehen haben wir ehrlich gesagt nicht.

Immerhin ist jetzt klar: Es geht noch höher hinauf. Aber wo ist Schluss? Da wollen sich nicht einmal Leute festlegen, die es eigentlich wissen sollten: Im Vermessungs- und Katasteramt Westpfalz in Pirmasens macht sich ein Mitarbeiter in seinem Kartenwerk auf die Suche und findet an der Weißen Triesch an der Grenze zu Kirrberg ein paar Flecken mit bis zu 381,5 Metern Höhe. Aber Gipfel kann man das nicht nennen. Ein solcher ist - zumindest auf der Karte - die ein paar 100 Meter südlich gelegene Einöder Höhe. Die entpuppt sich bei genauem Hinsehen als schwer identifizierbarer Punkt an einem Feldweg zwischen Stoppelfeldern, Krähenschwärmen und einem körperlosen Geruch nach Hundekot. Schemenhaft erkennt man am Horizont einige Wohnblocks auf dem Kreuzberg.

Sowieso wird diese Antwort nur ohne Gewähr gegeben und mit dem Tipp, beim Landesamt für Vermessung und Geobasisinformation Rheinland-Pfalz in Koblenz anzurufen. Von deren Kartenwerken und Fähigkeiten raunt man sich in Pirmasens Wunderdinge zu. Allein: Auch dort große Ratlosigkeit. Eine Woche nach der Anfrage kommt statt einer Antwort: die Bitte um Fristverlängerung. Wahrscheinlich braucht es einfach seine Zeit, sich von den lichten Höhen des Vermessungs- und Geobasisinformationswesens auf eine derart triviale Frage herunterzudenken.

Und jetzt? Im Western kommt in letzter Sekunde die Kavallerie und rettet den Tag. In diesem Text ist es der Mann von Zweibrückens Kulturamts-Mitarbeiterin Stephanie Neumüller. Der suchte auf Geheiß seiner Frau, der die Frage keine Ruhe gelassen hatte, das Manuskript heraus, das sie sich einst zusammengestellt hatte, als sie noch als Stadtführerin unterwegs war. Und darin steht ganz klar: Der höchste Punkt der Stadt liegt bei Mörsbach in 385 Metern Höhe. Die Anhöhe trägt den etwas sperrigen Namen Kastenbühl und liegt ein paar 100 Meter nördlich des Ortsschildes. Von der L 465 führt ein asphaltierter Weg in lichte Höhen. Vom Basislager sind es vielleicht 300 Meter, die auch ungeübte Grenzgänger aus dem Stand ohne Sicherung, Sherpa und Sauerstoffflasche bewältigen können.

Dann tief durchatmen. Den Reinhold Messner im eigenen Herzen finden. Umschauen. Im Nordwesten leuchtet der Dill, im Nordosten grüßt Käshofen. Im Südwesten Kirrberg, dahinter ist Homburg zu erahnen. Im Osten öffnet sich das Tal in Richtung Groß- und Kleinbundenbach. Tolles Panorama, eigentlich.

Ja, der Hochspannungsmast stört ein wenig, aber trotzdem. Immerhin behindert er nur in Richtung Saarland die Sicht. Und das ist ja nun für einen Zweibrücker Höhepunkt eher irrelevant. Relativ zumindest.

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