Leiharbeit = Frustarbeit

Zweibrücken. Die ersten Leiharbeitnehmer aus der Region fordern rückwirkend ab 2008 höhere Löhne. Das hat Werner Cappel, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Homburg-Saarpfalz, gestern dem Merkur erklärt. Hintergrund: Die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) war vom Arbeitsgericht aufgehoben worden

Zweibrücken. Die ersten Leiharbeitnehmer aus der Region fordern rückwirkend ab 2008 höhere Löhne. Das hat Werner Cappel, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Homburg-Saarpfalz, gestern dem Merkur erklärt. Hintergrund: Die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) war vom Arbeitsgericht aufgehoben worden. Mit dieser Gewerkschaft hatten viele Leiharbeitsfirmen Verträge abgeschlossen, die damit ungültig wurden (wir berichteten mehrfach). Die Arbeitnehmer dürfen nun hoffen, im Nachhinein die Differenz zu dem Gehalt zu bekommen, das die Stammbelegschaft verdient. Auf 350 000 Euro belaufen sich die Forderungen der bisher acht Leiharbeiter. Cappel: "Sieben sind Angestellte bei der Blieskasteler Firma Becker Personaldienste GmbH, einer bei der Saarbrücker Firma Elan Personalservice GmbH." Alle acht waren bei Terex-Demag in Zweibrücken eingesetzt. Die Gewerkschaft hat angekündigt, ihre Fälle über die DGB-Rechtschutz-GmbH vor den Arbeitsgerichten einzuklagen. Cappel: "Damit betreten wir juristisches Neuland, sind aber sehr zuversichtlich." Bei einer Infoveranstaltung am 15. Januar hatte die IG Metall in der Zweibrücker Festhalle gezielt Leiharbeiter aus der Region (wir berichteten) auf die Situation angesprochen und Hilfe angeboten.Einer, der sich zu den Acht in Kürze gesellen will, ist Joachim W. aus Homburg. Seit fast 15 Jahren arbeitet er bei einer Leiharbeitsfirma in der Region. Als er anfing, habe man sie noch Zeitarbeitsfirma genannt. Ein Jahr durfte man arbeiten, dann musste man drei Monate aussetzen. Das sollte die Firmen unter Druck setzen, die Zeitarbeiter selbst anzustellen. "Heute gilt: Einmal Leiharbeiter, immer Leiharbeiter", sagt W. Vor zehn Jahren war er schon mal bei Terex, viele seiner damaligen Kollegen seien übernommen worden. Er habe sich damals nicht beworben - aus privaten Gründen. Im November 2007 kehrte er zu Terex zurück.

Erst arbeitete er im Außenlager, dann in der Kommissionierung am Wareneingang. "Die Arbeit macht Spaß, mit den Kollegen verstehe ich mich sehr gut", schildert W. Überhaupt nicht akzeptieren kann er aber, wie wenig für seine Arbeit rausspringt. Und: dass die Kollegen neben ihm für die gleiche Tätigkeit etwa das Doppelte einstreichen. "Das ist demotivierend. Das Gehalt geht fast völlig für meine Miete drauf. Von einer privaten Altersvorsorge kann ich nur träumen", klagt er.

Nun, da das Arbeitsgericht die Tariffähigkeit der CGZP aufgehoben habe, sei ihm ein neuer Vertrag angeboten worden. Endlich mehr Geld fürs Arbeiten? Fehlanzeige! W. soll dem Vertrag nach in eine schlechtere Stufe rutschen. W's Gehalt setzt sich zusammen aus einem Stundengrundlohn und einer Stundenarbeitsprämie. Im neuen Vertrag ist der Stundenlohn niedriger, die Prämie höher. Heißt: Ist W. krank oder hat er Urlaub, verdient er weniger. Nur wenn er normal arbeitet, bekommt er soviel wie vorher. "Außerdem sieht der Vertragsentwurf vor, dass ich anstatt 18 nur noch 14 Euro tägliches Fahrgeld bekomme", so W. Erst bei 14 Euro fielen Steuern an. Dadurch zahlte er weniger an die Renten- und Sozialkassen. Das Geld spart auch sein Arbeitgeber. "Ich würde in dieser Gruppierung geradewegs in die Altersarmut steuern ", sagt W. Daher werde er den Vertrag nicht unterschreiben, sondern mithilfe der IG Metall den Rechtsweg bestreiten.

Meinung

Aufwachen, Staat!

Von Merkur-RedakteurEric Kolling

Früher galt die Zeitarbeit als Möglichkeit, den Einstieg in den Beruf zu erleichtern. Sicher findet mancher Arbeitslose über diesen Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt. Doch viel zu oft hilft Leiharbeit Firmen, an billige Arbeitskräfte zu kommen, die man schnell wieder los wird - und sie hübscht die Arbeitslosenstatistik auf. Die Leiharbeiter hingegen können von ihrem Verdienst kaum leben, geschweige denn für das Alter vorsorgen. Altersarmut droht. Dass die Leiharbeitsfirmen dabei auch ihren Teil verdienen wollen und Arbeitsverträge so gestalten, wie es ihnen passt, ist natürlich schäbig. Mindestens so sozial kalt ist aber der Gesetzgeber, der dem Gebaren keinen Riegel vorschiebt. Die Angleichung von Löhnen scheiterte im Februar im Bundesrat und Bundestag. "Aufwachen, Staat!" möchte man da rufen. Denn der Steuerzahler ist der Dumme. Er muss dafür zahlen, dass die Leiharbeiter von heute im Alter ein wenigstens annährend menschenwürdiges Dasein fristen können. Verantwortungsvolle, vorwärtsgerichtete Politik sieht anders aus.

Am Rande

Leiharbeiter haben es schwer, Kredite bei Banken zu bekommen. Laut Werner Cappel, dem Ersten Bevollmächtigten der IG Metall Homburg-Saarpfalz, wendeten sich gerade junge Leiharbeitnehmer deshalb an die IG Metall. Oft wollten sie eine Familie gründen oder ein Haus bauen, aber Banken gäben ihnen kein Geld. Laut Cappel ist quasi jede Abrechnung von Leiharbeitern falsch, etwa, weil die Eingruppierung nicht stimme. Dass die IG Metall Homburg-Saarpfalz das Problem offensiv angeht, hat sich auf die Mitgliedszahlen ausgewirkt. Seit Januar seien 46 Leiharbeiter neu eingetreten. Im Zuständigkeitsbereich arbeiten etwa 350, die bei Terex, Schäffler und Thyssen-Krupp eingesetzt sind. ek

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