Landgericht entscheidet über Drogen-Autodieb und Verfolgungsjagd mit Polizei Urteil erst nach abendlicher Stadtrundfahrt

Zweibrücken/Contwig · Landgericht Zweibrücken: 27-jähriger Autodieb muss unter anderem wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr vier Jahre und vier Monate in Haft.

 Der gestohlene Dacia wurde in der Straße Am Beckerswäldchen abgestellt, rollte brennend ein Feld hinunter und prallte gegen eine Scheune.

Der gestohlene Dacia wurde in der Straße Am Beckerswäldchen abgestellt, rollte brennend ein Feld hinunter und prallte gegen eine Scheune.

Foto: Polizeiinspektion Zweibrücken/Polizei

Eigentlich sollte am Mittwochnachmittag nur das Urteil verkündet werden, nachdem am Montag sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung ihre Plädoyers gehalten hatten (wir berichteten). Eigentlich. Denn gegen 16.30 Uhr hatte Robert Münch, der Verteidiger des 27-jährigen Angeklagten, der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken „noch etwas zu kredenzen“, wie die Vorsitzende Richterin Susanne Thomas süffisant ankündigte. Und in der Tat: Offensichtlich unbeeindruckt vom fortgeschrittenen Verhandlungsstand verlas der Verteidiger zwei Anträge. Weshalb die Strafkammer wieder in die Beweisaufnahme eintreten musste, die sie zwei Tage zuvor bereits für abgeschlossen erklärt hatte.

Einerseits beantragte Rechtsanwalt Münch, zwei renommierte Gutachter zu beauftragen, die eine schizophrene Vorbelastung seines Mandanten und damit seine Schuldunfähigkeit auch mit Hilfe von bildgebenden Verfahren belegen sollten. Andererseits erbat er eine „gerichtliche Inaugenscheinnahme“, was die seinem Mandanten vorgeworfene Verfolgungsfahrt quer durch den Zweibrücker Stadtteil Ernstweiler anbelangt.

Mit dieser Tatortbesichtigung erhoffte sich der Verteidiger, nachweisen zu können, dass sein Mandant an jenem 24. Juni 2020 mit seinem Opel Corsa gar nicht komplett über den Gehweg gefahren sein könne, wie von den ihm hinterherjagenden Streifenwagenbesatzungen angegeben. Zudem wollte der Rechtsanwalt im Zuge der „Inaugenscheinnahme“ belegen, dass nicht sein Mandant, wie von den Beamten geschildert, den Mannschaftswagen, der ihm damals auf den Fersen war, gerammt habe – sondern von eben diesem Fahrzeug an die dortige Werksmauer gedrängt worden war, um ihn einzuklemmen und so zu stoppen. Nur dadurch sei es zu einer Berührung der beiden Fahrzeuge gekommen, so der Anwalt.

Während die Strafkammer den Gutachterantrag mit dem Hinweis auf die Sachkunde der während der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen rundum ablehnte, gab sie dem Antrag auf eine „Inaugenscheinnahme“ statt. Und so kam es zu der kleinen abendlichen Stadtrundfahrt durchs schöne Ernstweiler, an der alle Prozessbeteiligten samt Angeklagtem teilnahmen.

Das Ergebnis: Sowohl Staatsanwalt Patrick Langendörfer („Ich erkenne keine Abweichungen zu meiner Sicht der Dinge“) als auch Verteidiger Münch („Die Beobachtungen der Zeugen waren nicht präzise“) fühlten sich darin bestätigt, wie sie die Geschehnisse von damals in ihren Plädoyers interpretiert hatten.

Und so verzichteten sie darauf, ihre Schlussvorträge von vor zwei Tagen noch einmal zu wiederholen und ihre Strafanträge zu ändern. So blieb es bei einer Freiheitsstrafe von „nicht über zweieinhalb Jahren“, die Verteidiger Münch für ausreichend empfunden und bei den vier Jahren und vier Monaten Haft nebst Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die Staatsanwalt Langendörfer für den 27-jährigen, vielfach vorbestraften Drogenabhängigen gefordert hatte.

Die Strafkammer entsprach schließlich dem Antrag des Anklagevertreters und verurteilte den Zweibrücker unter anderem wegen Besitzes von Betäubungsmitteln, mehrfachen Diebstahls (unter anderem stahl er in Contwig ein Auto, das er zu Schrott fuhr und ausbrennen ließ), mehrfachen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, mehrmaliger Unfallflucht, Kennzeichenmissbrauchs und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.

Und auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ordnete das Gericht an – in der Hoffnung, dass der 27-Jährige seinen tatbegünstigenden Hang zu Drogen und Alkohol besiege. Ein Grund, weshalb die Kammer zu Gunsten des Angeklagten auf „verminderte Schuldfähigkeit“ erkannte. Er sei nicht schizophren im klassischen Sinne – mit Verfolgungswahn und Halluzinationen, wie er immer behauptet habe, sagte Richterin Thomas in ihrer Urteilsbegründung an die Adresse des Angeklagten: „Eine Schizophrenie liegt nicht vor. Sie haben eine drogeninduzierte Psychose.“ Er habe den Beamten „einfach entkommen“ wollen, als sie ihn, den frisch zugedröhnten, betrunkenen und permanent Fahrerlaubnislosen, an jenem 24. Juni 2020 auf einem Discounter-Parkplatz an der Homburger Straße in seinem Auto mit den gestohlenen Überführungskennzeichen kontrollieren wollten.

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