Silvia Bervingas und Matthias Wolf Wenn das Lachen im Hals stecken bleibt

Zweibrücken · Silvia Bervingas und Matthias Wolf präsentierten in der Himmelsbergkapelle ihr neues Programm „Spötterdämmerung“, eine virtuos dargebotene Auswahl von Texten und Musik aus der Zeit zwischen den Weltkriegen.

 Silvia Bervingas und Matthias Wolf begeisterten mit ihrem Programm „Spötterdämmerung“ das Publikum in der Himmelsbergkapelle.

Silvia Bervingas und Matthias Wolf begeisterten mit ihrem Programm „Spötterdämmerung“ das Publikum in der Himmelsbergkapelle.

Foto: Susanne Lilischkis

Die Premiere von „Spötterdämmerung“ war als Lesung mit Silvia Bervingas angekündigt, doch das Publikum in der voll besetzten Himmelsbergkapelle bekam ein unglaublich vielseitiges Programm aus Kabarett, Textrezitationen und kleinen Spielszenen geboten – einfühlsam begleitet von Matthias Wolf am Kontrabass.

Der Titel entstand in Anlehnung an das gleichnamige Lied von Friedrich Hollaender, das sich mit der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen beschäftigt. „Schluss mit lustig“, würde man heute dazu sagen. Die Texte, die Bervingas und Wolf ausgesucht haben, sind zwar urkomisch, doch im Laufe des Abends schlich sich immer mehr Unbehagen ins Gelächter des Publikums. Jeder in der Kapelle hatte vor Augen, wie die Geschichte ausging, als Silvia Bervingas an den Anfang ein Zitat von Erich Kästner stellte: „Die Zeit ist viel zu groß, so groß ist sie. Sie wächst zu rasch. Es wird ihr schlecht bekommen.“

In dieser großen Zeit, kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wandten sich die Mächtigen gerne an den Mann aus dem Volk. „Der kleine Mann ist viel zu klein“, spottete Silvia Bervingas in der „Kandidatenrede“, die sie wunderbar gestisch untermalte, mit vielen Fingerzeigen ins Publikum und einem Verweis auf den moralischen Zeigefinger, der zurzeit immer schwerer wiege.

Zurzeit? Welche Zeit war gemeint, 1939 oder 2019? Einige der von der Schauspielerin gekonnt dargebotenen Textpassagen waren schmerzhaft aktuell, so zum Beispiel was Alfred Polgar 1939 über Flüchtlinge sagte. So mancher im Publikum mag Gänsehaut bekommen haben, bei seinem Gleichnis, das sich mit einem ertrinkenden Flüchtling befasst. Dessen Todeskampf wird vom Ufer her mit Sorge beobachtet – in der Angst, der Schwimmer könnte am eigenen Ufer anlanden.

Virtuos wechselte Silvia Bervingas die Rollen. Als tratschende Putzfrau regte sie sich über die Nachbarn auf und berlinerte: „Der Bunkens ihre Tochter jeht jezz uffn Strich“. Als Fabrikantengattin im Pelzmantel beschwerte sie sich über das Personal und als lebenshungrige Frau in Hugo Wieners Lied „Der Nowak lässt mich nicht verkommen“ tanzte sie durch die Kapelle und flirtete mit dem Publikum, um sogleich als arme Frau mit Sammelbüchse lakonisch festzustellen: „Die Sorgen der Reichen wiegen viel schwerer als die unseren.“

Der Musiker Matthias Wolf begleitete den Abend mit viel Engagement. Mit seinem Kontrabass erschuf er verschiedene Stimmungen, mal leise und einfühlsam, mal laut und kravallig. Eindrucksvoll demontierte er mit seinem Instrument Beethovens „Ode an die Freude“, die er verzerrt und fragmentiert zum Besten gab, bevor Silvia Bervingas ein Statement der von Bomben bedrohten Babys vorlas.

Zaghaft versuchte er eine Gegenrede beim Lied „An allem sind die Juden schuld“, doch er wurde auf der Bühne streng zurechtgewiesen. Das Werk ist ein politisch-satirisches Couplet des deutschen Komponisten Friedrich Hollaender und wurde im September 1931 in Berlin uraufgeführt. Die unheimliche Konsequenz dieses Liedes, die der Verfasser wohl nicht in ganzer Tragweite erahnen konnte, zeigte sich erst einige Jahre später.

Am Ende der Vorstellung trat Silvia Bervingas vors Publikum in der Himmelsbergkapelle und erzählte, was aus den Verfassern der Texte und Lieder geworden war. Fast alle kamen im KZ ums Leben, sie wurden gefoltert und hingerichtet oder begingen Selbstmord. „Ich wollte ein Zeichen setzen gegen das, was gerade im Land passiert“, meinte Bervingas zur Auswahl der Lieder und Texte im neuen Programm. Das ist ihr und Matthias Wolf meisterlich gelungen.

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