Küss-und-geh-Zone soll übereifrigen Eltern helfen

Zweibrücken · Zweibrücken. An ihren eigenen ersten Schultag in der Grundschule Sechsmorgen kann sich Sabine Gauf noch gut erinnern. Große Fotos mit ihr, ihrer Mutter und Schultüte sowie ihr alter Schulranzen hängen an der Wand im Büro der heutigen Sechsmorgen-Rektorin. Merkur -Mitarbeiterin Katja May sprach mit Gauf anlässlich des heutigen Schulbeginns über die Herausforderung von Einschulung in Zeiten von zu Helikopter-Eltern, digitalen Medien und inklusiver Pädagogik.

 Auch mit dem neuen Bewegungsparcours im Foyer will Rektorin Sabine Gauf die Bewegung – und damit auch Lernfähigkeit – der Kinder fördern. 33 haben heute an der Grundschule Sechsmorgen ihren ersten Schultag. Foto: Katja May

Auch mit dem neuen Bewegungsparcours im Foyer will Rektorin Sabine Gauf die Bewegung – und damit auch Lernfähigkeit – der Kinder fördern. 33 haben heute an der Grundschule Sechsmorgen ihren ersten Schultag. Foto: Katja May

Foto: Katja May

Frau Gauf, welche besonderen Herausforderungen erwarten die Kinder in der ersten Zeit in der Schule?

Sabine Gauf: In den ersten Tagen ist es vor allem wichtig, dass die Kinder die Klassen- und Schulregeln erlernen, zum Beispiel richtiges Benehmen im Waschraum und sich leise durchs Schulhaus zu bewegen. Da kommt schon erst mal einiges an Regeln auf die Kinder zu im Vergleich zum Kindergarten. Wir haben deshalb das "Motto des Monats" eingeführt, um das Erlernen der Regeln zu erleichtern. Dabei wird immer einen Monat lang eine Regel besonders hervorgehoben und überall im Haus ausgehängt, damit die Kinder sie ständig präsent haben und verinnerlichen können. Das Stillsitzen und Zuhören stellt für viele ebenfalls eine große Herausforderung dar. Sich für den Sportunterricht selbstständig umzuziehen oder Schuhe binden, gestaltet sich auch oftmals schwierig.

Ist das ein Trend, den Sie über die letzten Jahre beobachten, dass solche grundsätzlichen Anforderungen schwer fallen?

Gauf: Wir bemerken schon, dass viele Kinder mit den Anforderungen des Schulalltags überfordert sind. Selbst kleine Kinder verbringen heute schon viel Zeit vor dem Fernseher oder Computer beziehungsweise spielen auf Handys; das bringt einige Probleme mit sich. Die Bewegungszeit sowie der Bewegungsraum werden dadurch stark eingeschränkt, was dann Defizite in der Wahrnehmung und Motorik mit sich bringt. Die Kinder haben Haltungsschwächen und Probleme mit der Koordination. Das Stillsitzen oder Einhalten der Liniatur beim Schreiben fällt vielen daher schwer. Auch resultieren daraus oft Defizite im sozial emotionalen Bereich.

Steht das nicht im Widerspruch zu dem Phänomen der Helikopter-Eltern, das in der letzten Zeit oft in den Medien besprochen wird? Demnach gibt es angeblich immer mehr überfürsorgliche Eltern , die ihre Kinder auf Schritt und Tritt begleiten und gezielt in ihrer Entwicklung fördern.

Gauf: Ich mag den Begriff eigentlich nicht und spreche lieber von "Curling-Eltern", die sozusagen ihren Kindern alle Unwegsamkeiten aus dem Weg räumen und immer in der Nähe ihrer Kinder sind. Da wird der Ranzen schon mal bis zum Platz getragen - aber dadurch kann ein Kind natürlich nicht Selbstständigkeit erlernen. Wir haben zwar nicht viele "Curling-Eltern", aber trotzdem haben wir sogenannte Kiss-and-Go-Zonen eingerichtet, in denen ein Schild darauf hinweist, dass die Kinder es nun alleine schaffen. Gleichzeitig erwarten viele Eltern schon in der ersten Klasse, dass das Kind einmal Abitur macht und am besten noch drei Sportarten ausübt und mehrere Instrumente spielt. Das kann den Entfaltungsfreiraum der Kinder natürlich sehr einschränken, und die Folge sind Überlastung durch zu großen Leistungsdruck. Fälle von Vernachlässigung oder Desinteresse am Kind sowie Überforderung bilden das komplette Gegenteil dazu. Generell scheint die Schere zwischen Vernachlässigung und Überbehütung immer weiter auseinanderzugehen.

Wie gehen Sie als Schule damit um?

Gauf: Wir machen uns auf den Weg, inklusive Pädagogik ganzheitlich umzusetzen, obwohl wir keine ausgewiesene Inklusionsschule sind. Das heißt, wir möchten alle Kinder individuell fördern, Hochbegabte genauso wie Niedrigbegabte. Wir stellen deshalb extra Förderpläne für die Kinder auf und stehen in regelmäßigem Austausch mit den Eltern . Ich habe mich außerdem dem Schwerpunkt gesunde Schule verschrieben. Mein Leitbild: "Gesund von Kopf bis Fuß".

Was genau heißt das?

Gauf: Wir bieten regelmäßig gesundes Frühstück mit Einbezug der Eltern an und legen sehr großen Wert auf Sport und Bewegung. Wir haben ganz viele Kooperationsverträge mit örtlichen Vereinen wie dem Judo-Club, der VTZ und dem Tanzclub Royal. Bewegung ist die Grundlage für eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung. Moderner Grundschulunterricht beinhaltet deshalb die Rhythmisierung von Unterricht, das heißt, Phasen der Anspannung und Aktion wechseln sich mit Entspannung und Ruhe ab. Die Kinder lernen sozusagen mit allen Sinnen, indem die aktuellen Lerninhalte mit Bewegungsangeboten verknüpft werden. Kognitive Inhalte lassen sich dadurch sicherer "begreifen" und durch Schulung der Sensomotorik werden laut wissenschaftlichen Studien kognitive Leistungen gesteigert. Aber vor allem steht dabei natürlich der Spaß am Lernen im Vordergrund.

Das typische Bild vom Lehrer, der seiner Klasse Wissen einpaukt, scheint bei diesem Konzept eher nicht zuzutreffen.

Gauf: Stimmt. Den Frontalunterricht, wie wir ihn vielleicht noch aus unserer Schulzeit kennen, und bei dem man einfach so über die Kinder hinweggeht, gibt es so nicht mehr. Der Grundschullehrer ist mittlerweile mehr Moderator, Berater und Organisator von Lernprozessen. Der Fokus liegt auf kompetenzorientiertem Lernen, bei dem es vor allem darum geht, Lernprozesse in Gang zu bringen und bei den Kindern Kompetenzen zu fördern, damit sie nicht nur Wissen haben, sondern auch die Methodik verstehen.

Was raten sie abschließend den Eltern von Schulanfängern?

Gauf: Loslassen! Alles wird gut! Jedes Kind macht seinen Weg, und Sie können es guten Gewissens in die Hände der Lehrkräfte geben. Für die Kinder wird es toll werden. Sie werden nicht nur ganz schnell lesen und schreiben lernen, sondern auch ganz viel Spaß haben.

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