Kolumne Unsere Woche Aktionismus, nächste Stufe

Merkur-Redakteur Jan Althoff hadert mit der Ausgangssperre, die derzeit im Landkreis gilt.

 Kommentarkopf, Foto: Robby Lorenz

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Woran erkennt man eigentlich einen Politiker? Vermutlich daran, dass er handelt. Dass er weiß, was zu tun ist und das dann auch tut. Ein Anführer. Jemand, der, wenn sein Stamm sich im Urwald verlaufen hat, im Brustton der Überzeugung sagen kann „Ich weiß genau, wo wir sind. Wir müssen hier lang.“ und dem der Stamm dann folgt. Die Kunst besteht darin, diese Überzeugung auch dann zu simulieren, wenn man nur eine vage Vorstellung hat, was vor sich geht.

Das gilt – völlig wertfrei – umso mehr, wenn die Erfahrungen fehlen, um die objektiv beste Lösung eines Problemes zu finden oder verschiedene Möglichkeiten bewerten zu können. Die Corona-Krise ist ein Paradebeispiel dafür. Daher war es ein psychologisch lobenswerter Schritt, sich externen Sachverstand (Virologen) zu besorgen. Der Nachteil daran war nur, dass Virologen dazu neigen, Probleme auf virologische Art und Weise zu lösen und virologische Prioritäten zu setzen (Stichwort Maslows Hammer: „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel“). Das kann, das darf man ihnen überhaupt nicht vorwerfen, denn dafür sind sie ja ausgebildet.

Das ist aber nicht Aufgabe des Politikers. Der muss politische Lösungen finden. Verschiedene Interessengruppen zusammenführen. Das große Ganze im Blick haben.  Im Lauf der Krise haben sich dann auch einige Politiker von den Ratschlägen der Virologen emanzipiert und auch anderen Experten Gehör geschenkt: Kinderärzten, Entwicklungspsychologen, Ökonomen. Darum gibt es derzeit Wechseluntericht bei Inzidenz-Werten, bei denen letztes Jahr kein Kultusminister auch nur daran gedacht hätte, die Schulen wieder zu öffnen. Ein Konzept ist das immer noch nicht, aber es ist zumindest mal ein Schritt dahin, das Problem nicht nur aus einer Blickrichtung zu betrachten.

Wir halten also fest, dass der Politiker ein Mensch ist, der aufs Handeln abonniert ist. Darum ist der Politiker, hier kommt Maslows Hammer wieder ins Spiel, zu oft auch dann überzeugt, Handeln wäre immer die bessere Option, wenn man noch gar keine fundierte Faktenbasis hat, auf die man eine Handlung stützen könnte: Wenn in Deutschland zum Beispiel  jemand, idealerweise ein Schüler mit Computerspiele-Erfahrung und Zugang zu Waffen, Amok läuft, kann man sich darauf verlassen, dass ein Politiker ein Verbot von „Killerspielen“ und die Verschärfung der Waffengesetze fordern wird. Völlig egal, was die wirklichen Hintergründe der Tat waren. Das nennt man landläufig  (blinden) Aktionismus.

So ist es auch mit den Reaktionen der Politik auf die Corona-Entwicklung: Man muss etwas tun. Also erlässt man irgendwelche Vorschriften. „Seht her, ich mache was!“ Ob diese Vorschriften sinnvoll sind und ein logisches Ganzes bilden (Stichwort Mallorca), ist erst einmal nebensächlich. Erwiesen sinnvoll, so habe ich gelesen, sind die Nachverfolgung der Infektionsketten, Tragen von Masken, Testen, Einhaltung von Hygiene-Konzepten, Impfen, generell weniger Sozialkontakte. Ausgangssperren? Zweifelhaft. Und auch Landrätin Susanne Ganster hat zumindest im ländlichen Bereich ihre Sinnhaftigkeit im Kreistag angezweifelt – aber keinen Verhandlungsspielraum mit dem Land gesehen.

Jetzt gilt die Ausgangssperre trotzdem, zunächst bis 11. April. Ohne, dass jemand in Pirmasens erklären könnte beziehungsweise in Mainz erklären wollte, was das soll: Wieso darf ich zum Beispiel in Riedelberg nach 21 Uhr nicht mehr durchs Dorf oder die Natur spazieren, wo ich kaum einer Menschenseele begegne und also auch niemanden anstecken kann, während ich das tagsüber, wenn mehr los ist, ungestraft tun darf? Wie kann es verhältnismäßig sein, alle Bürger in den eigenen vier Wänden einzusperren, um die Handvoll Hallodris, die sich abends zur Party in größeren Gruppen treffen (privat. Die Kneipen sind ja zu), zu disziplinieren? Wenn diese Zusammentreffen doch auch ohne Ausgangssperre für alle bereits verboten sind? Haben wir Autos generell verboten, weil manche Leute mit ihnen andere Menschen totrasen? Ich finde das Bild des dummen, unmündigen Bürgers, das sich die Politik da zu haben erlaubt, höchst bedenklich.

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