Kommentar zur geplanten Amazon-Ansiedlung bei Contwig/Zweibrücken Richtige Entscheidung für falsche Firma

Verzichtete Zweibrücken aus hehren moralischen Gründen auf die Ansiedlung, würde das kein einziges der durch Amazon verursachten Probleme lösen – meint unser Kommentator.

 Amazon baut infolge der vielen Kunden-Bestellungen immer mehr Verteilzentren - steht aber gesellschaftlich oft in der Kritik.

Amazon baut infolge der vielen Kunden-Bestellungen immer mehr Verteilzentren - steht aber gesellschaftlich oft in der Kritik.

Foto: dpa/Ina Fassbender

Keine Frage: Amazon ist ein umstrittenes Unternehmen. Einerseits bietet es bequeme Einkaufsmöglichkeiten mit einem riesigen Angebot von Waren aus aller Welt, schnell lieferbar. Andererseits macht das US-Unternehmen gigantische Gewinne nicht nur wegen seiner vielen zufriedenen Kunden – sondern auch durch das geschickte Ausnutzen von Steuerschlupflöchern und die Ausbeutung von schlecht bezahltem Personal in den Verteilzentren und Lieferwagen. Zudem gefährdet der Online-Einkaufsboom massiv den Einzelhandel in den Innenstädten – und weil Geschäfte und Gastronomie wechselseitig von Kundenfrequenz profitieren, irgendwann auch die Lebensqualität in den liebenswerten europäischen Stadtkernen. Deshalb finde ich es ehrenwert, dass bei einer Minderheit im Stadtrat und bei etlichen Bürgern auch Kritik daran gibt, den Steitzhof-Bebauungsplan so zu ändern, dass Amazon dort ein Verteilzentrum bauen kann.

Für mich ist trotzdem klar: Es war richtig, dass Bebauungsplanverfahren zu starten. Zwar sehe ich durch Amazon verheerende gesellschaftliche Folgen (und kaufe dort nur, wenn ich etwas im örtlichen Handel nicht bestellen kann). Aber ich sehe auch: Das ist eine Minderheitenmeinung. König Kunde hat entschieden, Amazon so groß zu machen. Fakt ist deshalb: immer mehr Amazon-Verteilzentren werden gebraucht. Und das – ja bereits existierende, jahrelang weitgehend erfolglos zu vermarkten versuchte – Gewerbegebiet Steitzhof mit A 8-Anschluss ist dafür gut geeignet. Fakt ist auch: Während sich ein Handwerker-, Facharbeiter- und teils auch Akademiker-Mangel abzeichnet, ist es für beruflich gering qualifizierte Menschen sehr schwierig geworden, Arbeit zu finden. Und Ausbeutung gibt es in der Logistik-Branche nicht nur bei Amazon.

Die Zahl von 400 Arbeitsplätzen dürfte zwar wie üblich übertrieben sein, um das Projekt schmackhafter zu präsentieren. Aber auch wenn es am Ende „nur“ 200 Stellen würden, wäre das ein großer, lang ersehnter Beitrag im Kampf gegen die in Zweibrücken und noch mehr in Pirmasens hohe Arbeitslosigkeit.

Der Online-Shopping-Boom hat immer mehr verheerende Folgen auch für Zweibrücken. Aber sollte man dann nicht wenigstens die Chance ergreifen, die sich nicht jeder Kommune bietet, nämlich von diesem Boom durch neue Jobs zu profitieren? Verzichtete Zweibrücken aus hehren moralischen Gründen auf die Ansiedlung, würde das kein einziges der durch Amazon verursachten Probleme lösen. Denn kein Kunde mehr oder weniger kauft bei Amazon statt im Einzelhandel, wenn das Paket in Ort X statt Y verladen wird. Sinnvoller wäre, dafür zu kämpfen, die nationalen und internationalen Rahmenbedingungen zu ändern, die Amazon gegenüber örtlichen Geschäften Wettbewerbsvorteile ermöglichen. Und natürlich sich selbst zu hinterfragen, ob es ein paar bequeme Klicks wert sind, das Erbe der lebendigen deutschen Innenstädte zu gefährden.

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