Kommentar zu Gensch, Migration und „sozialer Hängematte“ Es gibt Grenzen
Zweibrücken · Christoph Gensch erntet mit seiner Stimmungsmache gegen nach Deutschland Geflüchtete viel Zuspruch. Doch konkrete umsetzbare Vorschläge macht er nicht – und gefährdet letztlich sogar die Integration von Menschen, die gebraucht würden um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.
Rumms! Mit einem knallharten Kommentar zur Flüchtlingspolitik hat der CDU-Politiker Christoph Gensch für einen Begeisterungssturm, aber auch scharfe Kritik auf Facebook gesorgt. Die Kernaussage seines langen Beitrags, über den der Merkur diese Woche ausführlich berichtete: „Man kann nicht beides haben: Offene Grenzen und hohe Sozialleistungen. Diese Kombination bietet Anreize für Migranten, die wir in diesem Land nicht wollen und führt Deutschland ins Chaos. Hier müssen wir endlich entscheidend umsteuern.“
Dass ein Zweibrücker Politiker mit einer pointierten Wortmeldung die politischen Diskussionen belebt, fände ich eigentlich gut – das gibt es nämlich in Zweibrücken viel zu wenig. Und Gensch gehört zu den wenigen, von denen oft wichtige belebende Impulse kamen (wenn auch im Stadtrat seit längerer Zeit kaum mehr).
Trotz seiner nicht nur inhaltlichen, sondern auch strategischen Begabung passiert es aber leider nicht zum ersten Mal, dass Gensch Grenzen überschreitet. Das richtete sich bislang meist gegen politische Gegner. Nun aber überschreitet er eine weitere Grenze: Stimmungsmache gegen eine Minderheit, gegen Flüchtlinge. Das Kalkül des Wahlkreis-Landtagsabgeordneten und stellvertretenden CDU-Ratsfraktionschefs scheint auf den ersten Blick aufgegangen zu sein, wie die sehr vielen begeisterten Reaktionen auf Genschs Facebookseite zeigen. (Die wohl auch dann ganz überwiegend positiv wären, wenn einzelne kritische Meinungen nicht gelöscht worden wären beziehungsweise Kritiker von Gensch ganz blockiert würden, wie das unter anderem mindestens zwei Stadtratskollegen nach eigenen Angaben schon vor einiger Zeit erging.)
Ein paar beispielhafte Reaktionen unter Genschs Beitrag: Eine Frau meint: „Respekt, endlich sagt mal einer, was viele Deutsche denken, es sich nicht trauen auszusprechen, weil man dann als rechts angesehen wird.“ Eine andere Frau schreibt: „Seid Ihr endlich aufgewacht? Ich habe nix gegen Leute die Hilfe brauchen, aber ich habe was gegen wenn sie sich nicht hier integrieren wollen und meinen Deutschland sei ihnen, wir brauchen die wo gut ausgebildet sind und keine Schmarotzer!“ Vielfach gab es auch Lob dafür, dass Gensch mit seinem Statement rechts der CDU-Politik der vergangenen Jahre stehe. So lobt ein Mann: „Wow, hätte fast nicht mehr daran geglaubt, dass ein ,hoher Politiker’ außerhalb der AfD es so sachlich und öffentlich auf den Punkt bringt.“
Selbstverständlich spricht grundsätzlich nichts gegen eine offene Diskussion auch über die Flüchtlingspolitik. Aber: Die großen Worte von Gensch schärfen zwar sein Profil und er gewinnt damit viel Zustimmung. Doch nicht nur die Fakten-Basis ist dünn, auf der Gensch argumentiert: Auch lässt er offen, welche konkreten politischen Maßnahmen aus seinen markigen Worten denn erwachsen sollten.
Zunächst zu den Fakten. Gensch schreibt von „offenen Grenzen“, als Lösung fordert er, die europäischen Außengrenzen müssten „konsequent und lückenlos gesichert werden“, um „illegale Einwanderung komplett zu unterbinden“. Doch tatsächlich werden die EU-Außengrenzen schon sehr gut geschützt, auf dem Land teils mit Stacheldraht, auf dem Mittelmeer mit Millionenaufwand und paramilitärischen Methoden, sogar in Kooperation mit der Küstenwache des Folterstaats Libyen.
Was will Gensch mehr? Er lässt es offen. Wohl aus gutem Grund – denn dass auch noch radikalere Grenzsicherungsmaßnahmen Flucht nicht komplett unterbinden können und zudem zu unliebsamen Begleiterscheinungen führt, ist noch von der innerdeutschen Grenze bekannt.
Und wer aus Nachbarländern über die Tat offenen Grenzen nach Deutschland einreist, genießt dort seit der Grundrechtseinschränkung 1993 kein Asylrecht mehr, weil dieses nich mehr bei Einreise aus „sicheren Drittstaaten“ gilt. Dass manchmal Flüchtlingszahlen steigen, hat andere Gründe, etwa internationales Recht wie die Genfer Flüchtlingskonvention oder jetzt der Krieg in der Ukraine.
Auch die „hohen Sozialleistungen“ sind ein Mythos, denn hier wurde bereits viel gekürzt. Zwar gibt es Länder auch in Europa mit niedrigeren Sozialleistungen – was aber meist den Grund hat, dass dort die Lebenshaltungskosten niedriger sind. Gensch fordert: „Der Erhalt von Sozialleistungen für zugewanderte Personen, welche bisher nichts für unser Land geleistet haben, muss deutlich eingeschränkt werden.“ Dabei missversteht er völlig das Prinzip von Sozialleistungen – diese sind, ob für Deutsche oder für Nichtdeutsche, keine Belohnung von Leistungen für Deutschland, sondern dienen der Sicherung des Existenzminimums. Auch da wüsste man gerne konkret, wie und wo Gensch kürzen möchte.
Insgesamt erweckt Gensch die Illusion, man müsse nur eine andere Politik machen, dann kämen nicht mehr so viele unerwünschte Migranten ins Land, sondern nur noch erwünschte Fachkräfte.
Damit streut Gensch seinen Facebook-Fans Sand in die Augen. Denn Deutschland ist ein wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas, in dem man gut leben kann. Das alles macht Deutschland natürlich attraktiv, auch für Migranten. Aber Deutschlands geografische Lage ist nicht änderbar, die wirtschaftliche Stärke und dass es den Einwohner hier im Schnitt ganz gut geht, will sicher auch Gensch nicht ändern. Die wirtschaftliche Stärke übrigens hängt auch mit der zentralen Lage Deutschlands zusammen – die könnte man zwar durch Grenzabschottung schwächen. Aber vielleicht ist es dann doch besser, die Begleiterscheinung der Stärke Deutschlands zu akzeptieren, dass auch ein paar mehr unerwünschte Flüchtlinge nach Deutschland als in andere Länder gelangen.
Wobei Genschs Argumentation gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situation mit den vielen Ukraine-Flüchtlingen (auch wenn er sie nicht namentlich nennt) perfide ist: „Viele kommen aufgrund der Kombination von offenen Grenzen und hohen Sozialleistungen nach Deutschland, um sich in der ,sozialen Hängematte‘ auszuruhen.“ Mit Verlaub: Das Ziel derjenigen, die ihr Hab und Gut und ihre Mitmenschen in der Ukraine verlassen, ist dem Krieg zu entkommen – und nicht, sich in einer „sozialen Hängematte auszuruhen“!
In der Tat gibt es in Deutschland einige Probleme mit der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund. Darüber würde eine konstruktive Debatte lohnen. Integration allerdings misslingt nicht nur aus mangelnder Integrationsbereitschaft – sondern auch, weil Integration durch staatliche Regelungen erschwert wurde und teils noch wird – und auch deshalb, weil Menschen, die sich von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt fühlen, sich oft verstärkt ihrer eigenen Community zuwenden und teils in Opposition zur Mehrheitsgesellschaft gehen. Ein Gefühl der Unwillkommenheit, das mit Äußerungen wie denen von Gensch verstärkt wird. Er erreicht damit genau das Gegenteil von dem, was er seinen Anhängern zu versprechen scheint.
Nichts gegen die von Gensch gewünschte gezielte Einwanderung von Fachkräften, die Deutschland aktuell benötigt. Aber: wäre mittelfristig nicht naheliegender, wenn die Fachkräfte aus Neukölln statt aus Neu-Delhi kommen?