Kolumne Unsere Woche Einseitig auf 5000 Meter

Timon Deckena ist als Volontär beim Merkur, um das Zeitungshandwerk zu lernen. Eigentlich von den Kollegen. Aber auch von den Lesern kann man lernen, findet er.

 Kommentarkopf, Foto: Robby Lorenz

Kommentarkopf, Foto: Robby Lorenz

Foto: Robby Lorenz

Eins vorneweg: Ich halte die Lieferung der Leopard-Kampfpanzer für die Ukraine, zu denen Kanzler Olaf Scholz (SPD) sich nach langem Zögern nun durchgerungen hat, für falsch. Und wie wohl rund 40 Prozent der deutschen Bevölkerung, die die Panzerlieferungen laut Umfragen ebenfalls ablehnen, frage ich mich: Was ist das Ziel? Geht es darum, dass die Ukraine den kompletten Osten – inklusive der Krim – zurückerobern soll? Das halte ich schlicht für unrealistisch. Wie viele Waffen müssen dann noch geliefert werden – und wohin soll das alles führen?

Trotzdem habe ich – zurzeit Volontär beim Pfälzischen Merkur – entschieden, am Mittwoch als Extra-Seite einen großen Info-Artikel von der Deutschen Presse Agentur über den Leopard-Panzer im Merkur abzudrucken („Tödlich auf 5000 Meter“). Zu diesem Zeitpunkt hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) seine Entscheidung zur Panzerlieferung noch nicht getroffen. Damit der Leser genauere Informationen darüber erhält, um was für ein Gerät es sich da eigentlich handelt, worüber zurzeit alle diskutieren, schien mir die Seite informativ und sinnvoll.

Einen Tag später erreichte uns in der Redaktion zu dieser Extra-Seite eine kritische Mail von Thomas Althoff aus Zweibrücken. Sein Hauptvorwurf: Der Artikel sei undifferenziert, journalistischer Informationsauftrag und politische Meinungsbekundungen gingen ineinander über. So würde man die Leser „nahezu völlig unkritisch auf eine militärische Intensivierung des Krieges“ einstimmen, schreibt er. „Kritik“, sagt Althoff dann später im Telefongespräch mit mir, „kommt von ‚trennen‘: Ich unterscheide Vorteile und Nachteile.“ Eine undifferenzierte Berichterstattung ist auch eine unkritische.

Nach dieser Reaktion habe ich mir die besagte Extra-Seite vom Mittwoch noch mal genau durchgelesen. Und nach und nach wurde mir klar: In vielen Punkten muss ich dem Leser Recht geben. Bei dem Artikel handelt es sich nicht einfach nur um ein Informationsstück. Er informiert nicht bloß darüber, was den Leopard als „Panzertyp auszeichnet – und wer sonst noch wie viele ‚Leos‘ hat“, wie es im Artikel-Vorspann heißt.

Neben einer großen Info-Grafik zu den technischen Details und „Zahlen und Fakten“ zu dem Panzer geht es auch um die Frage, warum die Ukraine den Leopard so dringend einfordert. Dazu wird in dem Artikel Hans-Lothar Domröse, ein früherer Nato-General, zitiert. Er erwarte, wie viele andere Experten auch, „eine fürchterlich blutige Frühjahrsoffensive“, heißt es da. Infolgedessen könnte die Ukraine im Frühjahr „schwere Verluste erleiden oder weitere Gebiete verlieren“, wird weiter gemutmaßt. Soll heißen: Die Ukraine braucht die Leopard-Panzer vor allem zur Selbstverteidigung.

Nur ein paar Sätze später geht es aber schon in die entgegengesetzte Richtung: „Westliche Kampfpanzer, hier vor allem der Leopard, sollen (…) die Fähigkeit der Ukraine zur Offensive erhöhen, also zur Rückeroberung besetzter Gebiete.“ Und wieder wird ein Militär-Experte zitiert, der einer Leopard-Lieferung offenbar gutheißt. Das wird deutlich an der Wortwahl: Mit dem Leopard könnte die Ukraine einen schwer gepanzerten Verband bilden, „die Speerspitze einer Truppe, die die russische Linie in Richtung Mariupol durchbrechen könnte“. So wird der ehemalige Oberkommandierende der US-Armee in Europa, Ben Hodges, zitiert.

Abgesehen davon, dass es bei der Panzerlieferung also offenbar nicht nur um die Verteidigung einer erwarteten russischen Offensive geht, fällt auf: Es kommen nur „Experten“ zu Wort, die die Lieferung der Leopard-Panzer befürworten. Dabei gibt es auch kritische Stimmen – wie etwa den US-Generalstabschef Mark Milley. Der hatte wiederholt öffentlich gesagt, dass er eine Rückeroberung der gesamten Ostukraine aus militärischer Sicht für unrealistisch hält – und fordert daher stärkere diplomatische Bemühungen.

Stimmen dieser Art kommen in dem Artikel auf der Sonderseite vom Mittwoch nicht vor. Erst ganz zum Schluss geht es kurz um die andere Seite des Meinungsspektrums: „Kritiker warnen vor einer weiteren Eskalation“, heißt es lapidar im letzten Satz des Artikels.

„Ganz offensichtlich sollen solche Kritiker mit Artikeln dieser Art überrollt werden“, kommentiert unser Leser Thomas Althoff diesen Schlusssatz in seiner Mail. Diese Einseitigkeit betrifft nicht nur die Extra-Seite, die ich herausgesucht habe, sondern sie gilt aus meiner Sicht für große Teile der medialen Berichterstattung zu diesem Thema. Auch in anderen Agentur-Texten vermischen sich oft Berichterstattung und Kommentar. Und in den Talkshows im Fernsehen kommen Stimmen, die der Lieferung der Leopard-Panzer kritisch gegenüber stehen, selten zu Wort. Das wird nicht nur der Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas, sondern auch der breiten, in dieser Frage extrem zwiegespaltenen Bevölkerung, nicht gerecht.

Also: Ich habe in dieser Woche etwas gelernt. Obwohl am Ende die Autoren für ihre Artikel verantwortlich sind, will ich in Zukunft stärker darauf achten, dass auf den Seiten, für die ich zuständig bin, ausgewogen berichtet wird – auch wenn solche Texte bei diesem Thema zurzeit schwieriger zu finden sind. Fest steht: Auch ich wünsche mir in den Debatten um Waffenlieferungen für die Ukraine mehr Ausgewogenheit in der medialen Berichterstattung. Ein Anfang ist hiermit hoffentlich gemacht.

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