Zweibrücker Kita-Leiterin Sieglinde Geßner Mlinaric im Interview „Ich vermisse klare Leitlinien im Lockdown“

Die Zahl der Kinder in der protestantischen Kita Weizenkorn ist trotz Regelbetrieb bei dringendem Bedarf hoch und liegt schon fast bei 50 Prozent. Die Leiterin Sieglinde Geßner Mlinaric macht unklare Formulierungen im Beschluss der Landesregierung für die steigenden Kinderzahlen verantwortlich.

 Die  Fachkräfte in den Kindertagesstätten sind an vorderster Front und können sich nicht so schützen, wie es in anderen Berufssparten möglich ist.

Die  Fachkräfte in den Kindertagesstätten sind an vorderster Front und können sich nicht so schützen, wie es in anderen Berufssparten möglich ist.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Frau Geßner Mlinaric, wie sehen Sie den Beschluss der Landesregierung, dass Kindertagesstätten im Regelbetrieb geöffnet bleiben und nur in dringenden Fällen für die Betreuung genutzt werden sollen?

Sieglinde Geßner Mlinaric: Eine sehr weitreichende Formulierung, wie ich finde, die Raum für kreative Bedarfserklärungen gibt. So erklärt sich jetzt auch die tendenziell steigende Kinderzahl in unserer Kita. Einerseits appelliert unsere Bildungsministerin an die Eltern, ihre Kinder nach Möglichkeit zu Hause zu betreuen, andererseits können Eltern auch zum Wohle der Kinder oder aus einem begründeten sozialen Bedarf heraus ihr Kind in die Einrichtung bringen. Vom letzten Bund-Länder-Treffen haben wir uns deshalb auch einiges erhofft, sollte es doch Klarheit und Struktur bringen sowie eine Kontaktreduzierung zum Ziel haben. Leider wurden wir wieder eines Besseren belehrt. Wie schon in den vergangenen Wochen hat sich unsere Landesregierung wiederholt gegen den Bund-Länder-Beschluss gestellt und ihre eigenen Regeln festgelegt. Beharrlich hält sie am eingeschränkten Regelbetrieb bei dringendem Bedarf fest. Entgegen der Verkündigung unserer Bundeskanzlerin, die in ihrer Pressekonferenz zur Schließung von Schulen und Kitas aufrief. Dies auch im Hinblick auf die Mutation B117 des SARS-CoV2Virus, wobei wissenschaftliche Daten beweisen, dass sich dieser stärker unter Kindern und Jugendlichen verbreitet. Hier spricht ja schon der logische Menschenverstand für eine Schließung der gefährdeten Bereiche.

Wie fühlt man sich als Erzieherin in solcher einer Situation?

Geßner Mlinaric: Wir Fachkräfte in den Kitas befinden uns an vorderster Front, stehen mit sehr vielen Haushalten in direktem Kontakt und können uns nicht so schützen, wie es in anderen Berufssparten möglich ist. Abstandsregeln können nicht immer eingehalten, Masken nur bedingt getragen werden. So lebt es sich Tag für Tag mit der Angst, sich selbst, die Kinder oder auch Familienmitglieder anzustecken.

Wie würden Sie die aktuelle Situation in der Kita Weizenkorn beschreiben?

Geßner Mlinaric: Auch wenn weniger Kinder in der Einrichtung sind, bringt die Regelung durch einen gruppeninternen, wöchentlich neu anzupassenden Personaleinsatz und die verantwortungsvolle Umsetzung des Hygienekonzeptes einen großen Arbeitsaufwand mit sich. Hier sind wir auch in engem Kontakt mit den Eltern, die den Bedarf zeitgenau melden müssen.

Ich als Leitung bin froh und dankbar darüber, dass fast das komplette Kita-Team vor Ort ist und wir den Betrieb ohne eine Durchmischung der Gruppen aufrechterhalten können. Sollten die Kinderzahlen aber noch weiter steigen – wir bewegen uns bereits auf eine Belegung von gut 50 Prozent zu – oder auch Personal ausfallen, müssen wir unsere Strategie wieder ändern.

Doch wie kann in dieser für alle Beteiligten (Eltern, Kinder und Team) unbefriedigenden Situation jedem Rechnung getragen werden? Wie kann ich mein Team schützen? Wie kann ich die mit Recht erregten Gemüter beruhigen und Situationen entschärfen? Wie kann ich die Kluft zwischen Eltern und Fachkräften wieder schließen, die sich aus der wachsenden Unzufriedenheit weiter öffnet? Warum werden Fachkräfte in den Kindertagesstätten so stiefmütterlich behandelt? Wo gibt die Regierung klare Handlungsanweisungen vor?

Ich finde es sogar eine Frechheit, dass in Konferenzen und Beschlüssen immer wieder auf die Einrichtungsträger verwiesen wird. Diese haben doch auch keine Optionen und können keine eigenen Wege gehen, um ihr Personal besser zu schützen.

Was erhoffen Sie sich seitens der Verantwortlichen?

Geßner Mlinaric: Wünschenswert wäre ein einheitliches Vorgehen der Bundesländer, der Träger und auch der Einrichtungen. Denn es ist schon ausschlaggebend, wie die Fachkräfte mit den Eltern kommunizieren und dadurch den dringenden Bedarf auslegen und beeinflussen. Der Lockdown fordert klare Leitlinien, die hier nicht gegeben sind. Würden diese doch eine Umsetzung der Vorgaben und ein besseres Verständnis mit sich bringen.

Sehen Sie also auch die Eltern in der Pflicht, ihren Betreuungsbedarf zu überdenken?

Geßner Mlinaric: Durchaus, und so bleibt uns nur weiterhin an die Eltern zu appellieren, ihre Kinder nach Möglichkeit zu Hause zu lassen, Betreuungsalternativen zu finden oder auch die zusätzlichen Kinderkrankentage zu nutzen sowie weiterhin verantwortungsvoll abzuwägen, ob sie einen dringenden Bedarf haben oder nicht. Hier einmal ein herzliches Dankeschön an alle, die dazu beitragen, die Kontakte so gering wie möglich zu halten. Aber auch an diejenigen, die beruflich unterwegs sein müssen, um das System aufrecht zu erhalten.

 Sieglinde Geßner Mlinaric.

Sieglinde Geßner Mlinaric.

Foto: Sieglinde Geßner Mlinaric

Natürlich sehe auch ich die Situationen der Familien und den Spagat, den sie täglich vollbringen, wenn sie ihre Kinder betreuen und gleichzeitig Homeoffice und/oder Home-Schooling erledigen müssen. Ich erlebe, dass berufstätige Eltern ein schlechtes Gewissen haben, weil sie Bedarf anmelden. Mir ist bewusst, dass da zu Hause Kinder sind, die gerne mit ihren Freunden spielen und wieder in die Kita kommen möchten. Auch wir vermissen die Kinder, den Kontakt zu den Eltern und wünschen uns den Kita-Alltag vor Corona zurück.

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