Warum die Stadt einstimmigen Ratsbeschluss jahrelang nicht umsetzt Wirbel um Kaltluftzufuhr-Schutz in Zweibrücken

Zweibrücken · Schon im September hatte der Stadtrat einstimmig beschlossen: Wegen des Klimawandels werden Schutzzonen im Zweibrücker Flächennutzungsplan ausgewiesen. Acht Monate später ist noch gar nichts getan – aus guten Gründen, erklärt die Stadtverwaltung.

 Wegen der vielen Täler (Im Bild das Ernstweiler Tal) hat Zweibrücken – solange sie nicht bebaut werden – besonders günstige Bedingungen für die Frischluft-Zufuhr.

Wegen der vielen Täler (Im Bild das Ernstweiler Tal) hat Zweibrücken – solange sie nicht bebaut werden – besonders günstige Bedingungen für die Frischluft-Zufuhr.

Foto: Nadine Lang

„Das ist ein großer Erfolg für den Klimaschutz“, jubilierte Gerhard Herz, als der Stadtrat am 30. September beschlossen hatte, Kaltluftschneisen und Kaltluftenstehungsgebiete im Zweibrücker Flächennutzungsplan (FNP) als „unverbaubar“ festzulegen. Denn angesichts der Erderwärmung wird es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer wichtiger, dass genug kühle Luft in aufgeheizte Städte strömen kann.

Der damals noch von Herz geführte Zweibrücker Naturschutzbeirat hatte den Stadtrat in einer Resolution zu dieser Entscheidung aufgefordert. Grüne, FWG und AfD hatten daraufhin Anträge gestellt. Da diese weitgehend gleichlautend waren, einigte man sich, nur über den Grünen-Antrag zu entscheiden. Zumal das Ergebnis einstimmig war, hoffte Herz auf eine „baldige Umsetzung“.

Daraus aber wird so bald nichts. FWG-Ratsmitglied und Meteorologe Patrick Lang fragte in den vergangenen Monaten mehrfach bei der Stadtverwaltung an, welche Schritte sie schon unternommen habe – und erhielt als schriftliche Antwort: „Der gültige Flächennutzungsplan aus dem Jahr 2005 stellt die betreffenden frei zu haltenden Bereiche dar. Bebaubare Bereiche sind als Sonderflächen, gewerbliche, wohnbauliche, Mischgebietsflächen dargestellt. Diese sind ergänzt u. a. auch noch durch Gewässer, Eisenbahn- und wichtigen Straßenflächen. Die Bebaubarkeit bzw. Nicht- Bebaubarkeit ist somit definiert.“

Lang schüttelt darüber den Kopf: Der Verweis auf 16 Jahre alte Unterlagen gehe völlig an seiner Anfrage vorbei. Zum einen, weil die Antwort überhaupt nicht auf den Ratsbeschluss eingeht. Zum anderen hätten Messungen des Deutschen Wetterdienstes im Auftrag der Stadt teils neue Erkenntnisse geliefert, die es in der FNP-Änderung zu berücksichtigen gelte.

Der Merkur hat deswegen bei der Stadtverwaltung angefragt, was die Antwort an Lang zu bedeuten hat. Hält es die Stadt nicht mehr für erforderlich, den Stadtratsbeschluss umzusetzen? „Jein“, könnte man die Antwort kurz zusammenfassen.

Die Langfassung: Zwar bestätigten Stadtplanerin Barbara Kirsch-Hanisch und Stadtplaner Harald Ehrmann, dass das Bauamt sich mit dem Beschluss bislang nicht befasst hat. Dafür gebe es aber vor allem folgenden, sehr guten Grund: De facto seien alle für die Kaltluftzufuhr wichtigen Gebiete bereits im jetzigen Flächennutzungsplan als unverbaubar klar geschützt! Zwar steht im FNP noch nirgendwo das Wort „Kaltluft“. Aber: Völlig unstrittig ist, dass es sich bei den bedeutendsten Kaltluftschneisen und -Entstehungsgebieten um (Kerb-)Täler wie Bombachtal, Ernstweilertal oder Tschifflicker Dell und um Waldflächen handelt, auch Felder in Hanglage spielen eine wichtige Rolle. Bachtäler, Wald und landwirtschaftliche Flächen sind aber schon jetzt im FNP ausgewiesen – und dürfen damit nicht bebaut werden. Aus fachlicher Sicht sei deshalb überhaupt keine Eile, den FNP nur deshalb zu ändern, um Kaltluft-Schutzgebiete einzutragen. Wobei Kirsch-Hanisch und Ehrmann das Rats-Engagement für dieses „wichtige Thema“ ausdrücklich begrüßen.

Wesentlichen Änderungsbedarf durch die Messdaten von 2019 gebe es nicht – die Ergebnisse seien ja durch die Topographie erwartbar gewesen.

Aber es ist doch eine politische Entscheidung, ob der Stadtrat zum Beispiel in Tälern am Hang an bestimmten Stellen vielleicht ein paar Dutzend Meter mehr Schutzzonen ausweisen möchte wegen des 2005 noch nicht so stark wie heute im Bewusstsein verankerten Klimawandels? Auf diesen Einwand entgegnen Kirsch-Hanisch und Ehrmann, dies könne durchaus im Rahmen einer FNP-Änderung geprüft werden. Aber: FNP-Änderungen seien aufwendig, das letzte Verfahren bis 2005 habe etwa zehn Jahre gedauert, dafür sei eine ganze Stelle erforderlich. Und auch die bisherigen Kaltluft-Daten reichten noch nicht aus, man brauche ein größeres Gutachten, vermutet Kirsch-Hanisch. Beschäftigen könne die Verwaltung sich mit einer FNP-Änderung deshalb erst dann, „wenn dafür Gelder in den Haushalt gestellt sind“, so Ehrmann.

Das bedeutet: Da im Dezember der Doppelhaushalt 2021/22 verabschiedet wurde, will die Stadtverwaltung vor 2023 keine FNP-Änderung angehen. Ein neuer Flächennutzungsplan sei aber ohnehin irgendwann erforderlich, zum Beispiel weil sich die Einwohnerzahl Zweibrückens besser entwickelt habe als bis 2005 gedacht, und auch wegen neuer Gewerbe-Entwicklungen, erklärte Ehrmann. Und er beruhigt: Auch in Bebauungsplan-Verfahren müssen immer Umwelt-Auswirkungen wie die Luftzufuhr geprüft werden.

Patrick Lang (FWG) war auf Merkur-Nachfrage überrascht und unzufrieden über die Erläuterungen – und auch darüber, dass im Beschlussprotokoll der Ratssitzung vom 30. September steht: „Des Weiteren wird festgestellt, dass die Umsetzung im Bau- und Umweltausschuss weiter behandelt wird, wenn die entsprechenden Haushaltsmittel zur Umsetzung vorliegen.“ Lang bezweifelt (wie auch Grünen-Fraktionschef Norbert Pohlmann), dass darauf schon in der Sitzung hingewiesen wurde. Lang: „Hätte die FWG das gewusst, hätten wir einen Antrag für den Doppelhaushalt 2021/22 gestellt!“ Denn er fände es wichtig, schnell Klarheit über die  exakte Lage und Größe der Kaltluft-Gebiete zu bekommen, damit nicht bei jedem einzelnen Bebauungsplan (wie jüngst beim Kirchberg) wieder Grundsatz-Diskussionen losgehen, wie wichtig ein Gebiet für Kaltluft ist oder nicht. Er erwarte deshalb, dass der einstimmige Rats-Beschluss nicht auf die lange Bank geschoben und „unverzüglich 1:1 umgesetzt wird“. Er wolle in der FWG-Fraktion prüfen, ob man einen Antrag stelle, um das Thema zur weiteren Behandlung in den Bauausschuss oder Stadtrat zu bringen.

Grünen-Fraktionschef Norbert Pohlmann dagegen ist einverstanden mit dem Vorgehen der Stadt. „Wir hatten in dem Antrag keine Frist festgelegt.“ Ehrmann habe ihm bereits im Herbst genau das erklärt, was der Stadtplaner am Freitag dem Merkur erläuterte. Pohlmann: „Wir beide waren uns einig, dass es keine akute Notwendigkeit gibt. Das hat durchaus Zeit bis zum nächsten  Doppelhaushalt.“ Er, Pohlmann, habe dies dann auch im Ältestenrat den anderen Fraktionschefs berichtet. Dort habe „niemand Widerspruch eingelegt“.

Pohlmann erklärte, ihm – und wohl auch vielen anderen Ratskollegen – sei in der 30.9.-Stadtratssitzung nicht bewusst gewesen, dass die wichtigsten Kaltluft-Gebiete ja anderweitig schon im FNP sind, und wie groß der Änderungs-Aufwand ist.

Der Grünen-Chef betont aber eine aus seiner Sicht hohe, zumindest politische, Bindunsgwirkung des einstimmigen Beschlusses vom 30.9., „so dass funktionelle Beeinträchtigungen der Kaltluftschneisen ausgeschlossen sind. Das Einarbeiten der Bereiche in den Landschafts- und Flächennutzungsplan ist ja nur der formale Akt, der den Beschluss in den Plänen dokumentiert.“

Pohlmann weist auch darauf hin, dass ihm wichtig sei, dass in dem neuen, auf Grünen-Initiative gegründeten, städtischen Arbeitskreises „Nachhaltige Bebauungsplanung“ auch über Kaltluft gesprochen werde.

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