Jahresrückblick 2019 (Teil 1 von 4): Turbulenzen und neue Köpfe in der Kommunalpolitik Groko-Ende in Stadt und Land

Christina Rauch wird nach einem Wahl-Drama neue Beigeordnete im Zweibrücker Stadtvorstand. Auf dem Weg dahin spielte auch das Facebook-Fakeprofil „Karl Otto Müller“ eine Rolle. Zweibrücken-Land wird erstmals von einer Ampelkoalition geführt – und demnächst einem CDU-Bürgermeister.

 Christina Rauch wurde am 18. September erst im dritten Wahlgang vom Zweibrücker Stadtrat zur künftigen hauptamtlichen Beigeordneten gewählt. Trotz einer Grünen-pur-Rede schaffte es Norbert Pohlmann (links) überraschend in die Stichwahl, weil die SPD mehr mit sich selbst beschäftigt war. Ein politisches Comeback feierte 2019 der ehemalige Bürgermeister Rolf Franzen (rechts): Der Pensionär wurde für die CDU in den Stadtrat gewählt.

Christina Rauch wurde am 18. September erst im dritten Wahlgang vom Zweibrücker Stadtrat zur künftigen hauptamtlichen Beigeordneten gewählt. Trotz einer Grünen-pur-Rede schaffte es Norbert Pohlmann (links) überraschend in die Stichwahl, weil die SPD mehr mit sich selbst beschäftigt war. Ein politisches Comeback feierte 2019 der ehemalige Bürgermeister Rolf Franzen (rechts): Der Pensionär wurde für die CDU in den Stadtrat gewählt.

Foto: Lutz Fröhlich

Das Politik-Jahr 2019 in Zweibrücken begann mit absurdem Theater um einen Fake-Mann – und endete mit der erstmaligen und ebenfalls dramatischen Wahl einer Frau in den Zweibrücker Stadtvorstand. Am 17. Januar ließ die CDU-Ratsfraktion eine Bombe platzen, die manche Rätsel aufgab: Die Christdemokraten beendeten die jahrzehntelange große Koalition mit der SPD in Zweibrücken. Die CDU-Fraktionschefs Christoph Gensch und Christina Rauch begründeten dies mit massiven Vorwürfen gegen die SPD: Einige SPD-Ratsmitglieder hätten im Oberbürgermeister-Wahlkampf 2018 mit Fake-Profilen gearbeitet, zudem habe es anonyme Briefe mit „Beleidigungen und Drohungen“ und „Gensch-Hass“ gegeben. Konkretisiert hat die CDU diese Vorwürfe ein paar Tage später nur in einem Punkt: Es gebe eine „erdrückende Last an Beweisen“, dass Rimbrecht das Fake-Profil „Karl Otto Müller“ betrieben habe (nach Merkur-Recherchen gibt es hierfür zwar keine Beweise, aber einige überzeugende Indizien). Rimbrecht wies die Vorwürfe als „bösartige Unterstellungen“ zurück, SPD-Ratsfraktionschef Stéphane Moulin sprach von einer „Inszenierung vor den Kommunalwahlen“. Der Verdacht der Sozialdemokraten: Die CDU habe nur einen der Öffentlichkeit verkaufbaren Anlass gesucht, die große Koalition zu einem für sie machtpolitisch günstigen Zeitpunkt zu beenden. Denn während der Oberbürgermeister direkt vom Volk gewählt wird, hatten sich SPD und CDU in der Vergangenheit meist abgesprochen, wen man zum Bürgermeister und wen zum Beigeordneten wählt. Zuletzt hatte deshalb im Mai 2017 die SPD Christian Gauf (CDU) zum Bürgermeister mitgewählt – nach dieser Logik wäre nun die SPD dran gewesen, im Herbst 2019 als Nachfolger des Beigeordneten Henno Pirmann (SPD) wieder einen Sozialdemokraten mitzuwählen. Doch die CDU setzte im neuen Stadtrat auf neue Mehrheiten, um Christina Rauch in den Stadtvorstand zu bringen – vermutete die SPD als wahres Motiv der CDU hinter der Groko-Kündigung.

Doch erst einmal wurde das absurde Theater um „Karl Otto Müller“ auf die Spitze getrieben: „Die Partei“ behauptete Ende Januar in einer „Eilmeldung“, sie stecke hinter dem Fake-Profil: „Man nehme ein Facebookprofil, teile sozialdemokratische Inhalte, beteilige sich kontrovers an lokalen Polit-Diskussionen gegen die CDU und andere Spaßpolitiker. Nebenbei legt man eine Spur aus Brotkrumen Richtung SPD und Taaada: CDU beendet mit sofortiger Wirkung die Koalition mit der SPD. Wir sehen hiermit Zweibrücken als Vorbild für Deutschland und werden unser Pilotprojekt jetzt auf Bundesebene umsetzen.“ Der Bekennerbrief der Satire-Partei las sich lustig, war aber wenig glaubwürdig: Das Profil „Karl Otto Müller“ wurde bereits 2011 angelegt, die Zweibrücker „Partei“ jedoch erst Ende 2016 gegründet, die inhaltlichen Aussagen von „Karl Otto Müller“ im OB-Wahlkampf 2018 waren völlig harmlos – und auch dass die SPD und Walter Rimbrecht es völlig locker hinnahmen, dass „Die Partei“ die auch von ihm selbst lange Jahre unterstützte große Koalition gesprengt habe, indem sie angeblich dass Fake-Profil anlegte, das sich mit Rimbrecht immer wieder die Bälle zuspielte, weckten Zweifel an Rimbrechts Beteuerungen, er habe sich nie hinter „Karl Otto Müller“ verborgen.

Den Wählern gefiel das Theater offensichtlich nicht: Bei der Stadtratswahl verloren CDU und vor allem SPD deutlich, die AfD legte am meisten zu. Mit Vertretern von neun Listen ist der neue Rat zersplittert wie noch nie, stabile Mehrheiten sind nicht in Sicht, eine neue Groko hat die CDU wegen der Fakeprofil-Affäre ausgeschlossen. Die CDU versuchte zwar monatelang hinter den Kulissen, eine Mehrheit für die Wahl von Christina Rauch zur Beigeordneten zu schmieden, ohne dafür absehbar auf Stimmen aus der AfD angewiesen zu sein – Letzteres gelang aber nicht. Manchen Vertretern kleiner Fraktionen missfiel der oft konfrontative Stil der CDU unter Führung von Christoph Gensch, manche schienen aufgrund der Verwaltungserfahrung von Thilo Huble eher diesen Sozialdemokraten als Beigeordneten zu bevorzugen.

Doch die Chance, die sich Huble zu eröffnen schien, zerstörte die SPD selbst: Der schon immer sehr eigensinnige, bei den Wählern auch deshalb beliebte Stadtrat Dirk Schneider schaute beim SPD-Parteitag dem Duell der Bewerber Huble und Thorsten Gries zu – um dann zwei Tage vor der Entscheidung im Stadtrat völlig überraschend seine Kandidatur auch gegen den Kandidaten der eigenen Partei anzukündigen. Das war einigen Mitgliedern anderer Fraktionen, die nach Merkur-Informationen mit der Wahl Hubles geliebäugelt hatten, dann doch zu viel – und in die Stichwahl im dritten Wahlgang schaffte es dann (nach einer Öko-pur-Bewerbungsrede völlig überraschend) Grünen-Fraktionschef Norbert Pohlmann, der Rauch nur knapp unterlag. Dass die AfD offensichtlich das Zünglein an der Waage war, konnte die SPD nicht ausschlachten – schließlich hatte ihr eigenes Mitglied Dirk Schneider im ersten Wahlgang nach einer rechtspopulistischen Rede auch Stimmen der AfD geholt. Zudem hatte Rauch mit ihrer dynamischen, visionären und trotzdem relativ konkreten Rede auch einige Skeptiker überzeugt. Damit hat die CDU geschafft, bei nur 11 von 40 Ratssitzen eine 2:1-Mehrheit im Stadtvorstand zu haben.

Noch vor dem Amtsantritt Rauchs am 1. Januar 2020 folgte Anfang November die nächste Überraschung: Vor der Beigeordneten-Wahl hatten viele öffentliche Statements von Politikern von links bis rechts, einschließlich Oberbürgermeister Marold Wosnitza (SPD), keinen Zweifel daran gelassen, dass der oder die künftige Beigeordnete wie zuletzt Henno Pirmann auch das für die Stadtentwicklung wichtige Baudezernat führen sollte. Auch nach der Rauch-Wahl plädierte sogar die SPD-Fraktion noch klar dafür, während aus der CDU plötzlich andere Signale kamen – und am Ende folgte der Stadtrat aller Zersplitterung zum Trotz einstimmig dem Vorschlag Wosnitzas, dass der OB das Baudezernat übernimmt. Rauch erhält zum Ordnungsamt nun auch das Schulverwaltungs- und Sportamt.

Von heftigen Auseinandersetzungen geprägt war das Jahr 2019 auch in der jahrzehntelang politisch meist ziemlich einträchtigen Verbandsgemeinde Zweibrücken-Land. Dabei sah nach der VG-Ratswahl zunächst alles nach Business as usual aus: Verbandsbürgermeister Jürgen Gundacker (SPD) deutete öffentlich an, die sei drei Jahrzehnten „bewährte Zusammenarbeit“ werde fortgesetzt. Anderthalb Wochen später gaben dann SPD, FDP und Grüne eine Pressmitteilung heraus – in der sie die Bildung einer Ampel-Koalition verkündeten. Gundacker warf CDU-Chef Björn Gundacker vor, die Koalition entzweit zu haben. Das wiesen die Christdemokraten Bernhard und Klaus Freiler, der bis zur Ampel-Koalition auch Erster Beigeordneter war, scharf zurück – Freiler warnte Gundacker, er habe die „Büchse der Pandora geöffnet“.

Was immer mit dieser Andeutung gemeint war – Fakt ist: Der folgende Verbandsbürgermeister-Wahlkampf wurde deutlich aggressiver geführt als der Rats-Wahlkampf. Wobei die aggressive Stimmung nicht direkt von den Kandidaten Gundacker und Bernhard selbst ausging, sondern aus ihren Anhängerkreisen. Als Favorit nach seinem 67-Prozent-Wahlsieg 2012 galt eigentlich Gundacker: Zwar gab es in seiner Amtszeit auch Turbulenzen um die Feuerwehr und seinen verwaltungsinternen Führungsstil, beide Themen waren aber aus den Schlagzeilen verschwunden. Doch bei der Wahl am 20. Oktober gab es einen politischen Erdrutsch Obwohl auch FDP und Grüne zur Wahl Gundackers aufgerufen hatten, wurde der Amtsinhaber mit 43,5 Prozent klar abgewählt. Björn Bernhard (56,5 Prozent) tritt Gundackers Nachfolge am 1. Juni 2020 an. Mit Spannung erwartet wird, wie die Zusammenarbeit des Christdemokraten mit der Ampel-Koalition im Rat und den Beigeordneten von SPD, FDP und Grünen funktionieren wird.

Im Verbandsbürgermeister-Wahlkampf hatten auch zwei überraschende Themen eine Rolle gespielt:

Dass Björn Bernhard auch in Feuerwehr-Montur mit Feuerwehr-Kameraden auf Großplakaten und Flyern Wahlkampf machte, sorgte für Empörung: Erst bei Gundacker-Anhängern, weil die in dem Werben mit der allseits angesehenen Feuerwehr ein unlauteres Wahlkampfmittel sahen. Bernhard-Anhängern waren empört über diese Empörung – damit wolle die SPD doch nur verdecken, dass Bernhard ehrenamtlich deutlich aktiver als Gundacker sei. Bernhard-Anhänger warfen dem neuen Ersten Beigeordneten Thomas Hohn (FDP) vor, seine Neutralitätspflicht verletzt zu haben, weil er als als Wahlleiter das Abhängen der Plakate anordnete. Doch damit war Hohn nur einer klaren schriftlichen Aufforderung der (CDU-geführten) Kreisverwaltung gefolgt, die auf Landesgesetze verwies, laut denen parteipolitische Betätigung in Dienstkleidung untersagt ist. Trotzdem deutete auch Bernhard selbst an: „Die Sache wurde gesteuert.“ Trotz der Anordnung ließ Bernhard die Plakate noch vier Tage hängen. Und kündigte eine Klage vorm Verwaltungsgericht an – allerdings erst nach dem Wahlsonntag, um den Streit zu beruhigen. Wenige Tage später, am Freitag vor der Wahl, wurde durch eine Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Neustadt dann bekannt: Bernhard hatte doch einen Eilantrag gestellt – und verloren.Überraschungs-Thema Nummer zwei war ein Schimmel-Fund in der Grundschule Contwig – ausgerechnet in einem Raum, in dem es nach früheren Feuchtigkeitsproblemen nach einer Generalsanierung eigentlich gar keine Probleme mehr geben sollte. Eltern waren schon lange besorgt – doch eine Raumluftmessung gab es erst, nachdem Eltern sich nach der VG-Verwaltung auch an die ADD (Schulaufsichtsbehörde) gewandt hatten. Mit einem Runden Tisch und Versprechen von künftig ganz viel Transparenz gelang es Gundacker zwar zunächst, Druck aus dem Kessel zu nehmen – doch nach der Wahl stellte sich dann heraus, dass die Situation noch viel schlimmer war: Schimmelsporen wurden in weiteren Räumen gefunden – und Gundacker und die VG-Verwaltung gingen, auch zum Ärger des Schuleiters, zunächst auf Tauchstation, bevor entschlossen gehandelt wurde: Das ganze Schulgebäude ist zurzeit gesperrt, die Klassen werden am Standort Stambach beziehungsweise zuletzt im Rathaus und statt dem Rathaus ab 7. Januar an der IGS (Integrierte Gesamtschule) unterrichtet (siehe aktueller Bericht). Die weitere Sanierung des Schulgebäudes wird also wohl auch noch den künftigen Verbandsbürgermeister beschäftigen.

 Björn Bernhard (CDU) triumphierte am 20. Oktober bei der Verbandsbürgermeister-Wahl über Amtsinhaber Jürgen Gundacker (SPD). Bei der Wahlparty schenkte Bernhards Frau ihm einen Kuchen mit dem Feuerwehrmotiv, gegen dessen Verbot als Wahlplakat-Motiv Bernhard vergeblich einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht eingereicht hatte.

Björn Bernhard (CDU) triumphierte am 20. Oktober bei der Verbandsbürgermeister-Wahl über Amtsinhaber Jürgen Gundacker (SPD). Bei der Wahlparty schenkte Bernhards Frau ihm einen Kuchen mit dem Feuerwehrmotiv, gegen dessen Verbot als Wahlplakat-Motiv Bernhard vergeblich einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht eingereicht hatte.

Foto: Norbert Schwarz
 Übergab Walter Rimbrecht, als er unter Verdacht geriet, „Karl Otto Müller“ zu sein, dieses Facebook-Fakeprofil an „Die Partei“ – oder betrieben es die Satiriker schon immer, um die große Koalition zu sprengen? Indizien sprechen für Ersteres.

Übergab Walter Rimbrecht, als er unter Verdacht geriet, „Karl Otto Müller“ zu sein, dieses Facebook-Fakeprofil an „Die Partei“ – oder betrieben es die Satiriker schon immer, um die große Koalition zu sprengen? Indizien sprechen für Ersteres.

Foto: Jan Althoff
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