Im „globalen Schönheitsvergleich“

Zweibrücken · Zweibrücken. Mit dem Thema Essverhalten von Jugendlichen haben sich Lehrer und Eltern Anfang der Woche bei zwei Veranstaltungen auf Einladung der Zweibrücker Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern befasst. Im Nachgang der Vorträge hat Esther Hartfelder von der Beratungsstelle die Antworten der Fachleute auf Fragen von Merkur-Redakteur Jan Althoff zusammengefasst.

 Verzerrte Selbstwahrnehmung gehört zum Krankheitsbild bei Magersucht. Foto: obs/SEHNSUCHT UND HUNGER

Verzerrte Selbstwahrnehmung gehört zum Krankheitsbild bei Magersucht. Foto: obs/SEHNSUCHT UND HUNGER

Foto: obs/SEHNSUCHT UND HUNGER

Man hört immer wieder, dass die Zahl der Menschen mit Essstörungen zunimmt. Stimmt das?

Hartfelder: Es ist nicht leicht zu beantworten, ob eine generelle Zunahme vorliegt. Jedoch sind Infos über das Krankheitsbild, beziehungsweise die Anerkennung als Krankheit überhaupt, heute verbreiteter und die Landschaft an qualifizierten Beratungsstellen im Gesundheitsbereich besser. Festzustellen ist, dass die Betroffenen immer jünger werden und die Diagnosen typischer Essstörungen zunehmen. Auch sind inzwischen mehr Jungs und Männer betroffen. Die Dunkelziffer ist sehr hoch. Die Heimlichkeit dieser Erkrankung ist gleichzeitig Grund dafür und Teil der Krankheitssymptome.

Wie ist unter den Betroffenen das Geschlechterverhältnis?

Hartfelder: Während bei Anorexie (siehe Info-Kasten) bei Mädchen und Jungs das Verhältnis bei 10:1 steht, ist das Verhältnis bei der Störung "Binge-Eating" relativ ausgeglichen.

Woran erkenne ich, dass mein Kind eine Essstörung hat?

Hartfelder: Warnsignale sind Gewichtsveränderungen, häufig nach Diäten bei einer gleichzeitigen Veränderung der Teilnahme beziehungsweise Abwesenheit an Familienessenszeiten. Gleichzeitig erfolgt eine enorme Beschäftigung mit dem Thema "Essen/Lebensmittel", ihre Zusammensetzung, Einteilung in "gute und schlechte" Lebensmittel (strenge Selektion!) sowie häufig ein "Bekochen" der Familie, das Wälzen von Kochbüchern, Kochsendungen - während diejenige selbst selten isst. Stimmungsschwankungen gehen einher mit der "Zahl auf der Waage".

Welche Rolle spielen Diäten bei der Entstehung von Essstörungen ?

Hartfelder: Diäten sind häufig Einstiegsschritte in ein essgestörtes Verhalten. Natürlich wird aber nicht jeder Mensch, der eine Diät macht, essgestört. Das Problem ist hier eher die gesellschaftlich durchgängige Akzeptanz beziehungsweise Erwünschtheit, ja Normalität, von Diätverhalten oder hoher sportlicher Betätigung, was wiederum ein Entdecken der Krankheit schwierig macht. Die betroffenen jungen Menschen sind häufig in der Schule und im Sport leistungsstark, diszipliniert und angepasst und fallen somit auch hier lange nicht auf.

Gesellschaftlichen Schönheitsidealen nachzueifern ist, wenn ich mich nicht irre, ein in allen Zeiten und Kulturen anzutreffendes Phänomen. Und hatte immer wieder groteske Auswüchse (zum Beispiel verkrüppelte Füße, Wespentaille, Hals- oder Kopfringe). Was ist heute anders?

Hartfelder: Anders ist heute, dass die "Sozialen Medien" eine bildliche Kommunikation möglich machen, einen globalen Schönheitsvergleich‚ während dies früher vielleicht mit der Freundin oder dem Nachbarsmädchen möglich war. Die Models sind sozusagen im Kinderzimmer online. Sendungen wie "Germany's next Topmodel" machen keine Essstörungen , jedoch haben sie eine Verstärkerrolle, die bei bereits gefährdeten Mädchen und Jungs wie ein Auslöser wirken können und die Tendenz, die absolute Kontrolle über den Körper zu erstreben, verstärken können. Interessant hier vielleicht die sogenannte von Maya Götz veröffentlichte "Bravo-Studie", in der es unter anderem um die Zufriedenheit mit Aussehen und Körper geht. Hier ist markant, dass die Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen sowohl allgemein als auch mit dem eigenen Gewicht zwischen den Jahren 2006 und 2009 deutlich abgenommen hat - und zwar unabhängig vom (Normal)gewicht der Befragten. Es ist davon auszugehen, dass die Zahlen 2016 noch einmal drastisch gestiegen sind.

Können Sie sich politische Maßnahmen vorstellen, die Essstörungen in unserer Gesellschaft dauerhaft verringern könnten?

Hartfelder: Die Medien könnten über die andere Seite der Medaille berichten, um Alternativen aufzuzeigen. So gibt es Internetaktionen wie "#fat is not a feeling", oder Blogs von "Fat-Fashion-Bloggerinnen", die Gegenmodelle entwerfen und Denkalternativen anbieten.

Kann ich als Vater/Mutter das Risiko, dass mein Kind an einer Essstörung erkrankt, präventiv verringern? Wenn ja, wie?

Hartfelder: Eltern und Fachkräfte können die Summe der beschriebenen Veränderungen beobachten, für eine Selbstwertstärkung sorgen, dass "du genauso wie du bist richtig bist", Entspannung in den Alltag einbauen. Familien können darauf achten, dass "Essen" und das gemeinsame Essen eine Zone der Auszeit und des Genusses ist. In diesem Bereich (auch wörtlich gemeint, am Essenstisch) sollten keine Krisen und Probleme besprochen werden, damit eine negative Verknüpfung von "Essen und Problemen" erst gar nicht entsteht.

Hilfe und Informationen gibt es bei der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern , Poststraße 40, Zweibrücken, Telefon (0 63 32) 56 69 98 15.

Zum Thema:

Hintergrund Es gibt drei verschiedene Formen von Essstörungen : Magersucht, Bulimie (Ess-/Brech-Sucht), Binge-Eating-Störung (Ess- Sucht mit regelmäßigen Heißhungeranfällen). Die drei Formen können ineinander übergehen. Bei der Magersucht liegt das Körpergewicht mindestens 15 Prozent unter dem minimalen Normalgewicht. Betroffene nehmen ihr Gewicht und ihren Körper verzerrt wahr. Sie haben panische Angst, dick zu werden - trotz Untergewicht. Bulimie tritt häufig im Zusammenhang mit Magersucht auf. Die Betroffenen leiden unter Heißhungeranfällen. In kürzester Zeit essen sie sehr große Mengen. Um nicht zuzunehmen, erbrechen sie sich meist nach diesen Essattacken. Auch beim Binge-Eating leiden die Erkrankten an regelmäßigen Heißhungerattacken. Anders als bei der Bulimie ergreifen die Betroffenen aber nach Essanfällen keine Gegenmaßnahmen. Diese Störung ist meist mit Übergewicht oder Fettleibigkeit (Adipositas) verbunden. Nicht zu den Essstörungen zählen Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas). red essstoerungen-frankfurt.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort