Hörbuch-Rezension Hitler oder Chamberlain: Wer war der „Sieger“?

Zweibrücken · Robert Harris beleuchtet in seinem Roman „München“ die 1938er Konferenz, die das gleichnamige Abkommen bezüglich der Abtretung des Sudetenlandes regelte. Der jetzt als Hörbuch erschienene Thriller konstruiert eine Diplomaten-Story rund um die bekannten Ereignisse.

 Muenchen von Robert Harris

Muenchen von Robert Harris

Foto: Randomhouse Audio

Im September 1938 bereitet sich Europa bereits auf den Zweiten Weltkrieg vor. In England werden für die Bevölkerung Masken konstruiert, die gegen die gefürchteten Gasangriffe der Deutschen schützen sollen. Doch beim Aufstellen der Abwehrgeschütze gibt es gleichsam Probleme wie bei der personellen Stärke des Militärs. In diese Gemengelage kommt Hitlers Ultimatum, mit der Wehrmacht in die Tschechoslowakei einzumarschieren, wenn nicht das Sudetendeutschland mit seiner mehrheitlich deutschsprachigen Bevölkerung Teil des Dritten Reichs wird. Ein dramatischer Akt, der später als Münchner Abkommen in die Geschichtsbücher eingehen sollte.

Der eitle britische Premierminister (nur „PM“ genannt) Neville Chamberlain erhofft sich von einer kurzfristigen Konferenz führender Köpfe wie Hitler, Benito Mussolini und Édouard Daladier in München, den Frieden erhalten zu können. Während offiziell die Diplomatie mit all ihren Formalitäten, Banketten, Gesprächsrunden und Erklärungen bemüht wird, sind die wahren Pläne allerdings schon längst geschmiedet und hinter den Fassaden der Spitzenpolitiker verborgen. Bei Harris trickst Chamberlain Hitler aus – die Geschichtsschreiber deuten das bis heute genau umgekehrt.

Robert Harris, der sich bereits in „Vaterland“ im Nazi-Kontext bewegte, damals im fiktiven 1964 mit Deutschland als Kriegssieger, nutzt die Kulisse dieser tatsächlich passierten Konferenz für einen spannenden Politthriller, der zeitgeschichtliche Stimmungen und Befindlichkeiten in der Bevölkerung wie auch bei den Regierenden gut einfängt. Als spannungssteigerndes Mittel baut Harris erfundene Figuren in dieses Konferenzszenario ein: der deutsche Hitler-Widerständler Paul von Hartmann aus dem Auswärtigen Amt und sein früherer Oxford-Studienkollege Hugh Legat aus dem britischen Außenministerium. Von Hartmann lässt sich in die deutsche Delegation einschleusen und hofft, über Legat an ein Gespräch mit Chamberlain zu kommen – um ihm unter Vorlage geheimer Gesprächsprotokolle jegliche Illusionen hinsichtlich Hitlers größenwahnsinnigen, kriegerischen Absichten zu nehmen.

Dass ein SS-Mann sich bald an von Hartmanns Fersen heftet, und auch Legat auf britischer Seite gegen manche Eitelkeit im eigenen Stab und bürokratische Hürden zu kämpfen hat, steigert die Spannung geschickt. Der Verlauf der Gespräche, das Einfädeln eines solchen Treffens überhaupt nebst fernmündlich geschickten, abgetippten und übersetzten Nachrichten – das alles ist überdies interessant zu hören. Wie Chamberlain sich für seine Beschwichtigungspolitik feiern lässt, Daladier Desinteresse demonstriert und man bei Hitler nicht sicher ist, ob er trotz Eingehens auf seine Forderungen zufrieden war oder nicht – so hätte das vor 71 Jahren wirklich ablaufen können.

Dass die erfundenen Figuren eher schablonenhaft bleiben, stört nie. Dafür macht auch Frank Arnold als Vorleser seine Sache viel zu gut. Was bleibt, ist ein atmosphärisch starker, authentisch-anmutender Roman, Harris durfte etwa in Hitlers früherer Privatwohnung in München-Bogenhausen recherchieren, der abgesehen von einer etwas zäheren Startphase auf ganzer Linie fesselt.

Robert Harris: München, Random House Audio, 478 Minuten, gekürzte Lesung.

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