Familie Schwinn Thema beim Historischen Verein Ein ganzer Koffer voller Erinnerungen

Zweibrücken · Jens Reinke sprach beim Historischen Verein über die Zweibrücker Familie Schwinn. Das Interesse an der Veranstaltung war sehr groß.

 Jens Reinke stellte beim Historischen Verein die Familie Schwinn vor. Das Foto im Hintergrund zeigt das Haus der Schwinns in Ixheim.

Jens Reinke stellte beim Historischen Verein die Familie Schwinn vor. Das Foto im Hintergrund zeigt das Haus der Schwinns in Ixheim.

Foto: Susanne Lilischkis

Am Anfang stand ein Koffer. Jahrzehntelang hatte ihn die Zweibrücker Familie Schwinn aufbewahrt. Er staubte ein, geriet beinahe in Vergessenheit. Bis Jens Reinke kam. Der Historiker suchte Zeitzeugen, die ihm für seine Doktorarbeit etwas über die Zeit es Nationalsozialismus in Zweibrücken erzählen konnten. So saß er bei Ruth Schwinn, einem Mitglied der Familie, im Wohnzimmer; diese erwähnte im Lauf der Unterhaltung besagten Koffer. Darin befanden sich Dokumente, die die Famile von der Gründerzeit bis zur Weimarer Republik gesammelt hatte, zahlreiche Fotos sowie Tagebücher von Cäcilie Schwinn, einer Vorfahrin. Ein wahrer Glücksfund für Jens Reinke.

Einige der Ergebnisse seiner Forschungen zum Inhalt des Koffers stellte der Historiker am vergangenen Mittwoch beim Historischen Verein Zweibrücken vor. Das Interesse war so groß, dass der Kapellenraum der Karlskirche komplett besetzt war.

Die Schwinns waren Miteigentümer des Ixheimer Nagelwerks, das 1843 am Standort der ehemaligen Knochenmühle im Hundstal gegründet wurde. Unterlagen zu dieser Gründung befanden sich im Koffer, doch sie wurden auf ein sehr dünnes Papier geschrieben, sodass die Schrift kaum noch zu entziffern ist. Ein Foto, das die Arbeiter der Homburger Fabrik zeigen soll, entpuppte sich nach Rücksprache mit dem Publikum als Gruppe von Schwestern des Roten Kreuzes.

In den Schwinnschen Fabriken wurden Wagenbeschläge und Getriebe für die Eisenbahn hergestellt sowie landwirtschaftliche Güter. Der Erste Weltkrieg bedeutete einen tiefen Einschnitt für die Familie.

In der Nachkriegszeit war die Fabrik in Ixheim vom rechsrheinischen Gebiet abgeschnitten, sodass sie 1922 verkauft werden musste. Cäcilie Schwinn, die sich schon lange beim Roten Kreuz engagiert hatte, half während des Kriegs im Lazarett mit und musste schreckliche Verwundungen verarzten, über die sie in ihrem Tagebuch schrieb.

Die beiden Söhne der Familie, Hans und Adolf Schwinn, posierten als kleine Kinder in Uniform. In dem Foto spiegelt sich die Kriegsbegeisterung, die Deutschland 1914 ergriffen hatte, wider. Die tierliebe Familie Schwinn, die zahlreiche Fotos ihres Hundes schoss – ein damals sehr kostspieliges Vergnügen – musste sich von ihren beiden Pferden Olga und Vergissmeinnicht trennen. Sie wurden zum Kriegsdienst eingezogen. Auch Fabrikgründer Adolph Schwinn zog in den Krieg an die Westfront. Die Fliegeralarme am Ende des Krieges überstand die Familie im Keller.

Nachdem Deutschland den Krieg verloren hatte, marschierten die Franzosen ein. Im Tagebuch steht dazu: „Die erste Truppe war eine marokkanische Division. Ich verspürte eine Schmach und Ohnmacht wie noch nie.“ Über die in ihrer Villa einquartierten französischen Offiziere schreibt Cäcilie Schwinn: „die meisten Offiziere waschen sich nicht“.

In den Folgejahren berichtet sie von Diskussionen über das Frauenwahlrecht: „Frau Dr. Roth hält leidenschaftliche Reden darüber und über die Freie Pfalz Bewegung“.

Zu den Versuchen, nach dem Ersten Weltkrieg die linksrheinische Pfalz als autonomen, von Bayern unabhängigen Staat zu etablieren, berichtet Frau Schwinn von einem anderen bekannten Zweibrücker, Herrn Ypser nämlich, der vom Balkon des Rathauses die Republik ausrufen wollte und der anschließend von der französischen Kavallerie abgeführt wurde.

Ein weiterer Schwerpunkt des Vortrages von Jens Reinke war die Villa Schwinn. Das imposante Gebäude an der Ecke Hofenfelsstraße/Gutenbergstraße prägt das Zweibrücker Stadtbild noch heute. In der prächtigen Villa, in der sogar die Toilette mit Delfter Kacheln ausgestattet ist, müssen rauschende Feste stattgefunden haben. Davon zeugen die Einladungslisten aus dem Koffer. Staatsanwälte, Landgerichtsräte und zahlreiche Militärs gaben sich die Ehre. Wer sich den Unmut des Hausherren zugezogen hatte, bekam einen Vermerk: „Wird von jetzt an nicht mehr eingeladen“.

Man speiste Rehrücken und Gänseleberpastete und prostete sich anlässlich von Taufen, der Silberhochzeit oder Geburtstagen zu. Sogar Mitglieder des Königshauses waren zu Gast. Marie Theresia von Bayern kam zum Tee und Hildegard von Bayern machte 1914, anlässlich der Einweihung des Rosengartens, in der Villa Schwinn Station.

Am Ende des Vortrages erkannte ein Mann aus dem Publikum das Foto des ersten Hauses der Familie Schwinn wieder. Es war das Haus, in dem er vor langer Zeit einmal wohnte. Beim Bau der Schnellstraße wurde es abgerissen.

Jens Reinke dankte Ruth Schwinn, die trotz ihres hohen Alters zum Vortrag gekommen war, und erinnerte sich an die schönen Stunden mit ihr: „Man denkt, man geht eine Stunde hin und am Ende sind drei Stunden im Gespräch vergangen. Sie entgegnete: „Ich bin immer für Sie da, ein Anruf genügt.“

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